Das Jahr 1545 dürfte unserem Lindenbaum wohl ebenfalls noch in unguter Erinnerung geblieben sein. Herzog Heinrich der Jüngere war zu jener Zeit während einer Fehde mit dem Landgrafen von Hessen, dem Kurfürsten von Sachsen sowie mit der Freien Reichsstadt Goslar, die er wegen des reichen Bergbaus am Rammelsberg unbedingt in seinen Besitz bringen wollte, erst aus seinen Landen vertrieben und später gefangen genommen worden.
Da die über den "wilden Heinz" verärgerten Goslarer den Herzog selbst nicht greifen konnten, da er im hessischen Ziegenhain eingekerkert war, überfielen in diesem Jahr 200 Goslarer Bürger aus Rachegelüsten heraus die kleine, noch junge und zudem schutzlose Bergstadt. Nachdem auf der oberhalb des Ortes gelegenen "Bettelmannswiese" ein Eseltreiber mit einem Schlachtschwert jämmerlich erschlagen wurde strömten die Goslarer in den Ort selbst und plünderten die Häuser. Die Einwohner waren zwar größtenteils in die Umgebung geflohen, dennoch wurden einige von ihnen von den Eindringlingen gefangen genommen und bei deren Abzug mit nach Goslar geführt. Allerdings hatten nicht alle Goslarer das Signal zum Aufbruch mitbekommen und so waren diese noch immer mit dem durchsuchen von Häusern beschäftigt, als zunächst nur die männlichen Einwohner in den Ort zurückkehrten.
Ein Goslarer Schneider wurde beim Brauhaus aufgegriffen und von den wütenden Wildemannern zusammengeschlagen. Da er trotz seiner erlittenen schweren Verletzungen nicht sterben konnte wurde ihm von einem Beteiligen aus "Mitleid" die Kehle durchgeschnitten. Auf ihrer weiteren Suche nach Nachzüglern wird ein "mit zwei Rohren" bewaffneter noch recht junger Bursche von Michel Dannenberger geschnappt, der diesen Goslarer aber aufgrund dessen Jugend verschonen wollte und lieber als Geisel benutzt hätte. Doch der empörte Mob kannte kein Erbarmen und so wurde der junge Mann mit eisernen Flegeln erschlagen.
Als in einem Haus ein noch immer mit plündern befasster Goslarer aufgrund des Tumults draußen aus dem Fenster sieht wird er von Veit "Scheußlich" Bauer mit einem Pistolenschuss in den Kopf getötet.
Vielleicht war es ja in der Nähe unserer Linde, wo der Sohn des Goslarer Ratsherrn Platener um sein Leben gefleht hat, nachdem er als Letzter von den Bergstadtbewohnern aufgespürt worden war. Aufgrund seines Versprechens, für die Freilassung der gefangenen Wildemanner zu sorgen, wird er zur Stauffenburg bei Münchehof gebracht, wo er bis zur Rückkehr derselben in Verwahrung bleibt. Die toten Goslarer werden in den Pochsand am Pochwerk geworfen, wo sie solange liegenbleiben, bis das Hochwasser der Innerste sie irgendwann mitnimmt und auf Nimmerwiedersehen fortschwemmt.
Wie wir inzwischen wissen war Herzog Heinrich ein strenger und überzeugter Katholik, während die anderen Landesherren um ihn herum dem neuen lutherischen Glauben anhingen. Dieses war somit ein weiterer Grund für Unstimmgkeiten mit seinen Nachbarn. Nach dem Sieg Kaiser Karls V. über den Schmalkaldischen Bund in der Schlacht bei Mühlberg 1547 war Heinrich mittlerweile in sein Herzogtum zurückgekehrt und begann eifrig mit der Rekatholisierung seiner Lande. Der Oberharz jedoch blieb davon ausgenommen.
Und so kam es, dass das lutherische Wildemann im Jahr 1553 von einer zweihundert Mann starken streifenden Rotte des lutherischen Grafen Volrath von Mansfeld überfallen wurde, bloß weil es einen katholischen Landesherrn hatte. Nachts um zwei Uhr drangen die Söldner des Grafen in den Ort ein, warfen Feuerbrände in einige Häuser und begannen mit der Plünderung. Die Linde hat dabei wohl recht gut sehen können, wie unweit von ihr beim damaligen Pfarrhaus Wolff Lichtgießer und Hans Wolff von Herrhausen auf der Straße erschossen wurden. Vielleicht geschah es ja auch in einem der ihr gegenüberstehenden Häuser, wo der Sohn von Andreas Großvogel von den Marodeuren in seinem Bett erschlagen wurde. Und auch den Feuerschein des beim Rückmarsch des "Kriegsvolks" in Brand gesteckten Richtschachtes der Grube "Wildemann" auf dem Plateau schräg hinter ihr wird unser Lindenbaum wohl wahrgenommen haben.
Die kleine Bergstadt erholte sich jedoch stets recht schnell von all diesen Katastrophen, nicht zuletzt wegen des auch weiterhin blühenden Bergbaus. Da die beiden älteren Söhne Heinrichs des Jüngeren in der Schlacht bei Sievershausen 1553 gefallen waren übernahm nach des Herzogs Tod im Jahr 1568 dessen jüngster Sohn Julius dessen Nachfolge. Von seinem Vater wegen einer leichten Körperbehinderung aufgrund einer in der Kindheit bei einem Unfall erlittenen Verletzung als Schwächling verspottet und von daher für seine Nachfolge als ungeeignet betrachtet sowie später wegen seiner offenen Sympathie für den lutherischen Glauben verachtet, erwies sich Julius als wahrer Glücksfall für diejenigen Oberharzer Bergstädte, die seiner Herrschaft unterstanden. Unter seiner umsichtigen und friedfertigen Regierung erreichte der Bergbau sowie die mit und von ihm lebenden Ortschaften ihre höchste Blüte.
Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel
Bis zum 30-jährigen Krieg blieb die kleine Bergstadt Wildemann von weiteren kriegerischen Ereignissen verschont. Doch die Schrecken dieses Krieges machten auch vor ihr nicht halt. Was nun unsere Linde hierbei erlebt hat werden wir dann im vierten Teil erfahren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen