Montag, 13. August 2012

Wenn Du reden könntest , alter Lindenbaum...Teil 1

In meinem Heimatort steht eine Linde. Sie soll über 1.000 Jahre alt sein. Der Sage nach wurde sie im Jahr 1039 von einem "wilden Mann" an dieser Stelle in die Erde gestoßen:  http://www.hhbornemann.de/seite31.htm

 
Vermutlich ist diese Linde aber wohl doch nicht ganz so alt, wie es das an ihrem Stamm angebrachte Schild behauptet, sondern wurde möglicherweise von den ersten Bewohnern dieser kleinsten der 7  Oberharzer ehemals "Freien Bergstädte" gepflanzt. Doch ganz egal, ob sie nun 1.000 oder "nur" 500 Jahre auf ihrem Buckel bzw. Stamm, Ästen und Zweigen haben mag - wenn sie reden könnte, dann hätte sie uns mit Sicherheit so einiges zu erzählen. Sie würde uns vom Leben und vom Sterben, von Freud und von Leid, von "guten" und von "schlechten" Menschen, von menschlicher Harmonie und von Mord und Totschlag, von Tragik und von Komik, von Festlichkeiten und von Katastrophen, von Überfluss und von Hunger, von Frieden und von Krieg und vom Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang einer einst als "Schatzkammer des Reiches" bezeichneten zu einer abgehängten und inzwischen fast vergessenen Region berichten können. Trotz ihrer Abgeschiedenheit wurde diese Gegend samt ihren Bewohnern von manch regional- und weltgeschichtlichen Ereignissen nun mal nicht nur berührt, sondern auch unmittelbar voll ge- und betroffen. Sie hat nun mal viel gesehen und erlebt, diese alte Linde.


Es war Anfang bis Mitte der 1520-er-Jahre, als auf Geheiß des streitbaren und "ruppigen" Herzogs Heinrich II. des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (wegen seiner 10 Kinder, die er mit einer Hofdame hatte, seinerzeit hinter vorgehaltener Hand auch "der wilde Heinz" genannt) bergbaukundige Untertanen auch ins Tal der Innerste ausgesandt wurden. Diese sollten nach Spuren aus der ersten größeren Bergbauperiode von Beginn des 13. bis Mitte des 14. Jahrhunderts suchen, in der Bergknappen im Auftrag von Klöstern, aber auch auf eigene Rechnung, im Oberharz nach Silber-, Kupfer-, Zink- und Bleierzen gruben. Um 1348/49 herum endete dieser erste "organisierte" Bergbau jedoch durch die europaweit wütende Pestepidemie, die selbst diesen entlegenen und damals noch äußerst schwer zugänglichen Winkel erreichte, sowie durch den durch massive Abholzung der Wälder entstandenen Holzmangel. Richtige Ortschaften wurden im Oberharz um diese Zeit allerdings noch nicht angelegt. Diese frühen Bergbau und Waldwirtschaft betreibenden Zeitgenossen lebten in einfachen Holzhütten nahe bei ihren Arbeitsstätten, von denen natürlich fast 200 Jahre später keinerlei Spuren mehr vorhanden waren. So mussten die herzoglichen Erkunder nach mittlerweile überwucherten Stolleneingängen und anderen Hinweisen wie z.B. Abraumhalden suchen, die der in ihrer Zeit so genannte "Alte Mann" hinterlassen hatte. 
Wenn nun in der Landschaft solche Hinterlassenschaften gefunden wurden überprüften diese Fachleute, ob eine Wiederinbetriebnahme der jeweiligen alten Grubenbaue bzw. die Anlage neuer Schächte und Stollen in deren Umgebung lohnenswert sei und meldeten bei positiver Einschätzung das Ergebnis dem Herzog. Der "eisenharte" Heinrich brauchte nun mal immer mehr Kapital für seine arg gebeutelte Kriegskasse, denn er lag schließlich fast mit jedem seiner benachbarten adligen "Kollegen" in Streit. Und als in der näheren und weiteren Umgebung der Stelle, wo noch heute der alte Lindenbaum steht, ebenfalls Spuren des "Alten Mannes" gefunden wurden und die Expertenmeinung hinsichtlich einer Wiederaufnahme der alten Gruben positiv ausfiel erfolgte umgehend das herzogliche O.K. hierfür.

Herzog Heinrich II. der Jüngere

Zunächst dürften es wohl ausschließlich Bewohner seines Herzogtums gewesen sein, die in den alten, aber auch in neu angelegten Grubenbauen mit dem Abbau der jeweiligen Erze begannen. Da der Bergsegen jedoch mehr als reichlich ausfiel begann Heinrich nun neben weiteren erfahrenen Bergleuten auch noch andere Fachkräfte wie der Waldwirtschaft kundige und Handwerker aus entfernteren Gegenden des damaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in den noch immer wilden und von einem rauen Klima geprägten Oberharz zu locken. Schließlich benötigten die Bergleute immer wieder aufs Neue Werkzeuge wie Schlägel und Eisen sowie Kratze und Trog, Holz für die Stollen- und Schachtverkleidungen, für die "Fahrten" (Leitern) sowie für Richtschächte, Gaipel, für die Wasserräder in den Schächten zur direkten Förderung der Erze ans Tageslicht und hierfür natürlich wiederum Fördereimer. Sie brauchten Nagel- und Hufschmiede, Seiler, Gerber und auch jemanden, der sowohl ihre Arbeits- als auch "Zivil"kleidung flickte oder ggf. neue Kleider für sie anfertigte. 

Also ließ Herzog Heinrich verkünden, dass für ausnahmslos alle, die sich in seinen Bergwerken und drum herum betätigen und hier ansiedeln würden, ganz besondere Vergünstigungen gewährt würden: Recht auf freien Zuzug und Abzug, Religionsfreiheit, Steuerfreiheit, kostenloses Schlagen von Bau-, Brenn- und Schachtholz, freier Handel und freie Abhaltung von Märkten, eigene Gerichtsbarkeit, Schutz vor Strafverfolgung für in anderen Teilen des Reiches begangene (Un)Taten, Recht auf eigenes Bierbrauen, Wahl von Stadtrichter (heute Bürgermeister) und Rat durch die Bürger selbst,  Recht auf freies anlegen von Wiesen und Gärten sowie Befreiung von sämtlichen Hof- und Frondiensten. Diese besonderen Vergünstigungen wurden nach dem entstehen der ersten "richtigen" Ansiedlungen schriftlich in einer sog. Bergfreiheit quasi gesetzlich festgeschrieben. Und da diesen Ansiedlungen trotz ihrer geringen Größe auch noch die Stadtrechte verliehen wurden darf es niemanden verwundern, dass auch heute noch ein Ort mit gerade mal noch ein wenig über 1.000 Einwohnern den Titel "Stadt" innehat.

Insbesondere im Erzgebirge wurden besagte umfangreichen Vergünstigungen und Sonderrechte wohlwollend vernommen und so machten sich viele der bislang dort ansässigen, vorwiegend dem neuen "lutherischen" Glauben anhängende, Bergleute auf den damals noch recht beschwerlichen Weg in jenen dem streng katholischen Herzog gehörigen Teil des Oberharzes. Manche davon kamen allein, manche brachten aber auch ihre Familien mit. Aber auch aus anderen Reichsteilen zog es Menschen hierher, sogar aus dem fernen Tirol. Für damalige Verhältnisse war das sozusagen ein echtes Multikulti, vor allem wegen der unterschiedlichsten Dialekte, die hier aufeinander prallten. Naja, und das sich nicht zuletzt begünstigt durch die Sache mit dem Schutz vor Strafverfolgung auch der eine oder andere etwas zwielichtigere Zeitgenosse Charakter unter die ersten Neusiedler mischte dürfte wohl nicht weiter verwundern. 

Im Jahr 1529 hatte es genug Neuankömmlinge aus den benötigten Berufsgruppen nebst Familienangehörigen auch in das Tal der Innerste verschlagen, sodass hier nun eine feste Ansiedlung entstehen konnte. Vermutlich waren die ersten Häuschen noch eher primitive Holzhütten, aber da man die damalige Situation durchaus mit der in den "Boomtowns" während des kalifornischen Goldrauschs 1848/49 vergleichen kann, sind auch hier im Handumdrehen festere Bauten -  zumeist wohl im Fachwerkstil - errichtet worden. Die in der Überzahl befindlichen Erzgebirgler brachten übrigens neben ihrem Dialekt auch einige Grubennamen aus ihrer alten Heimat mit und so wurden viele der wiederaufgenommen oder neu angelegten Bergwerke mit diesen altvertrauten Namen belegt. Eine der ersten Gruben erhielt von ihnen den Namen "Alter Deutscher Wilder Mann" und aus diesem Grubennamen entstand der bis heute gültige Ortsname "Wildemann" für die Ansiedlung entlang der Innerste. So denn unser alter Lindenbaum doch noch nicht an seinem Platz gestanden haben sollte, so dürfte er aber wohl genau zu dieser Zeit von irgendeinem der Erstbewohner der neuen Ortschaft an dieser Stelle gepflanzt worden sein. 

Soviel zu den allgemeinen Umständen und dem Umfeld, in dem die gute alte Linde wuchs und gedieh. Im nächsten Teil werden wir uns dann mal etwas genauer betrachten, was und wen sie so alles gesehen haben mag. Es dürfte im Laufe der wildbewegten Jahrhunderte auf alle Fälle immer wieder sehr aufregend und spannend für sie gewesen sein. Aber das werden wir dann ja nach dem nächsten Teil selbst beurteilen können.


2 Kommentare:

  1. Da mein Heimatort, Scharzfeld, nur 35 km entfernt von Wildemann am Südharz liegt fühle ich mich mit dieser Geschichte verbunden.

    1960/61 in der dritten Klasse der Volksschule in Scharzfeld, ich kann mich noch gut erinnern, hatten wir das Fach "Heimatkunde". Die damalige Lehrerin konnte uns für dieses Fach durch viele Ausflüge (Wandern und per Bus/Bahn) wunderbar begeistern. Zwei Ausflüge habe ich noch in guter Erinnerung. Der eine führte uns durch die Bergstädte des Oberharzes; er schloß mit dem Besuch des Bergwerksmuseums in St. Andreasberg ab. Der zweite war eine Besichtigung der damals gerade fertiggestellten Okertalsperre und anschließend erkundeten wir die Kaiserpfalz in Goslar.

    1966 verbrachten ich ein Wochenende mit einer evangelischen Jugendgruppe in Wildemann. - Es war eine schöne Zeit.

    Daher weckt diese Geschichte Erinnerungen in mir, die ich nicht missen möchte. - Vielen Dank dafür. Und ich freue mich schon auf den zweiten Teil.

    Gruß
    Hartmut

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  2. Tja, "Herr Nachbar" Hartmut, und unsereiner ist bei einem Schulausflug natürlich auch in der Scharzfelder Einhornhöhle gelandet. Das war allerdings irgendwann Anno Knips so ca. Anfang bis Mitte der 1970-er-Jahre. Mir ist davon lediglich in Erinnerung geblieben, dass ich diese Höhle damals gar nicht mal so imposant fand. Mittlerweile dürfte sich aber auch dort mit Sicherheit etwas getan haben, um das Ganze für die Besucher "attraktiver" zu gestalten als wie es seinerzeit noch war.

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