Donnerstag, 30. August 2012

Revolution jetzt? Leider zu spät...

In den Leser-Kommentarbereichen vieler Blogs und den Onlineausgaben diverser Zeitungen kann man häufig lesen, dass das Volk endlich aufwachen und sich gegen die momentanen neoliberalen Machtverhältnisse zur Wehr setzen müsse. Dabei werden nicht selten auch Begriffe wie "Volksaufstand" und "Revolution" verwendet.
Bis vor einiger Zeit stand auch ich solch revolutionären Gedanken im traditionellen Sinne noch durchaus aufgeschlossen gegenüber. Inzwischen jedoch fürchte ich, dass so eine Massenerhebung auf den Straßen nur eines gehen kann, nämlich schief.

Es haben sich in den vergangenen Jahren nun mal zu starke persönliche und wirtschaftliche Verflechtungen zwischen unseren "Eliten" und ihren dienstbaren Geistern in der großen Politik entwickelt und verfestigt. Da steht für unsere ReGIERigen mittlerweile viel zu viel auf dem Spiel, als das sie sich widerstandslos dem Druck der Strasse beugen würden. Die von Elitenforscher Michael Hartmann festgestellte zunehmende "Radikalisierung der Eliten" sowie die dort "oben" überwiegend vorherrschende Sichtweise des Neoliberalismus als alternativlose Ideologie als auch neue Religion sowie der (Finanz)Märkte als unantastbare neue Gottheit dürften ebenfalls dazu beitragen, dass die Hemmschwelle für eine gewaltsame Unterdrückung einer solchen Volkserhebung an den entscheidenden Stellen wohl recht niedrig liegen würde. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass sich unsere "Eliten" von Millionen von Menschen in den größeren Städten, die für in deren Augen so unnützen Firlefanz wie die Rückkehr zu mehr sozialer Gerechtigkeit auf die Straßen gehen, sonderlich beeindrucken lassen würden. Da könnte man z.B. schnell ein paar Provokateure unters friedlich demonstrierende Volk mischen, die mal eben mit einer Schreckschusspistole in die Luft ballern und schon wäre eine "katastrophische Ausnahmesituation" gegeben, die den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr rechtfertigen würde. Ein Anlass, um das Aufbegehren der Bevölkerung gegen die herrschenden Verhältnisse sowie der davon allein profitierenden  Klasse gewaltsam niederzuschlagen bzw. niederschlagen zu lassen, lässt sich nun mal ohne große Umstände inszenieren. Wer über das meiste Geld verfügt hat nun mal die größte Macht  bzw. die besten Möglichkeiten der Einflussnahme auf die verantwortlichen Stellen und wird auch immer Mittel und Wege finden, diese gewonnene Macht gegenüber dem aufmuckenden "Pöbel" abzusichern. Über eventuelle verfassungsrechtliche Mängel hinsichtlich eines gegen die eigene Bevölkerung gerichteten militärischen Einsatzes wird ggf. später in einer aktuellen Stunde im Bundestag kurz diskutiert, die Verhältnismäßigkeit der gewählten Mittel aufgrund der besonderen "katastrophischen Ausnahmesituation" von einer Dreiviertelmehrheit als gegeben erachtet und damit als verfassumgskonform abgehakt. Das war´s dann auch schon damit.

Nun könnte man darauf vertrauen, dass unsere Soldaten im Falle eines Falles schon nicht auf die eigene Bevölkerung schießen würden. Bei einer Wehrpflichtigenarmee würde ich dieses Vertrauen sogar teilen, aber bei einer Berufsarmee? Vielleicht würde man die Soldaten vor ihrem Einsatz mit der Auslobung von Sonderurlaub und der Zahlung von Sonderzulagen nach einer erfolgreichen Bekämpfung der "Aufständischen" so richtig "heiß" machen. Und auch verbal könnten sie entsprechend "scharf" gemacht werden. Ich erinnere mich z.B. noch recht gut an unseren evangelischen Militärseelsorger bei der Bundeswehr, der uns in seinen "Religionsstunden" immer und immer wieder das Bild von den schrecklich bösen und gottlosen Kommunisten im Osten einzuhämmern versuchte. Wenn die erstmal in die Bundesrepublik einfallen würden, dann würden sie mordend, plündernd, brandschatzend und vergewaltigend unser gesamtes ach so schönes und freies Land verheeren. Auf kritische Nachfragen wie "Und wie sieht das bei uns dann mit dem Gebot `Du sollst nicht töten´ aus?" oder "Ich soll dann auf meinen Cousin aus der DDR schießen?" kam dann stets: "Ihr kämpft schließlich für eine gute Sache! Ihr kämpft für das Christentum, für Eure und die Freiheit Eurer Familien sowie für deren Schutz! Gott ist dann auf Eurer Seite und wird Euch das Töten aus diesen Gründen vergeben!". Mit ähnlichen Verbalattacken könnten wohl auch unsere heutigen Soldaten entsprechend "motiviert" und im Namen der Freiheit auf die "bitterbösen Feinde im eigenen Volk" losgelassen werden. Am Ende stünden auf beiden Seiten wohl zahlreiche Todesopfer, lebenslang Verstümmelte und Traumatisierte. Der Satz des französischen Moralisten Joseph Joubert dürfte also auch heute noch seine Berechtigung finden: "Revolutionen sind Zeiten, in denen der Arme seiner Rechtschaffenheit, der Reiche seines Reichtums und der Unschuldige seines Lebens nicht sicher ist.".

Gesetzt den Fall, es gelänge tatsächlich jemandem, die Menschen aus ihrer Trägheit, ihrem Desinteresse, ihrer Bequemlichkeit und ihrem (angeborenen oder anerzogenen?) Untertanengeist zu wecken (wer das sein könnte und wodurch er dies erreicht haben würde sei hier einfach mal außen vor gelassen), größere Menschenmassen auf die Straßen und Plätzen unserer Städte zu bewegen, die dort geschlossen für die Berücksichtigung und Durchsetzung ihrer berechtigten Forderungen und Interessen eintreten würden. Und gesetzt den Fall, das Ganze würde zu einem für die sich Erhebenden und Empörenden erfolgreichen Ende gebracht werden - ob nun teuer durch Menschenleben, Blut und Leid erkämpft oder aber wider Erwarten auf friedlichem Wege soll hier ebenfalls dahingestellt bleiben - , so würde sich die Frage stellen: Und was nun? Würde man ohne Probleme eine Regierung installieren können, die tatsächlich das ausschließliche Wohlergehen ausnahmslos aller Bevölkerungsgruppen im  Auge hat? Oder würden sich "am Tag danach" neue Gruppierungen aus z.B. "gemäßigten" und "radikalen" Revoluzzern bilden, von denen jede für sich die alleinige Deutungshoheit über den weiteren Weg des Landes und seiner Menschen beansprucht und die sich in der Folge gegenseitig "an die Gurgel gehen" würden? Vielleicht sind ja auch "Rechte" und "Linke" während der Massendemonstrationen einträchtig nebeneinander gestanden, haben gemeinsam "Wir sind das Volk" gerufen und beginnen jetzt, wo alles vorbei ist, sich gegenseitig ggf. sogar bis aufs Blut zu bekämpfen. Worauf ich übrigens auch keine große Lust habe sind Personen, die vor dem "Volksaufstand" lautstark die Trommel zum Streite gerührt haben, während der "Straßenkämpfe" aber vorsichtshalber erst mal lieber die weitere Entwicklung abwartend in sicherer Deckung verblieben sind und danach, wenn "das Volk" gesiegt hat, wieder aus ihren Löchern vorgekrochen kommen, um sich nun der Allgemeinheit als die einzig wahren Revolutionsführer und zukünftigen Heilsbringer zu präsentieren. Oder gar diejenigen, die vorher keinen einzigen öffentlich vernehmbaren Mucks von sich gegeben haben und sich hinterher als "führende Köpfe der Revolution" darzustellen und dieses dem verzückten Volk erfolgreich unterzujubeln verstehen im Sinne von "So, hier sind wir und jetzt zeigen wir Euch mal die allein selig machende Wahrheit und wie und wo es ab jetzt langgeht!". Nein danke, auf so eine "Gauckerei" habe ich nun wirklich keinen Bock. Außerdem spukt mir beim lesen der Forderungen nach einer "richtigen" Revolution immer ein Ausspruch des Schriftstellers Johannes Scherr im Hinterkopf herum: "Die Rebellen von heute sind die Despoten von morgen.".

Wie auch immer, vor 10 Jahren vielleicht wäre so eine "Straßenrevolution" eventuell noch unblutig und sogar erfolgreich verlaufen. Heute hingegen sehe ich diesbezüglich aus den weiter oben angeführten Gründen jedoch leider tiefschwarz. Wir hätten außerdem in den vergangenen Jahren durchaus auch noch genügend Möglichkeiten für eine "Revolution an den Wahlurnen" gehabt. Dummerweise haben wir diese Chancen aufgrund des altbekannten Wahlverhaltens der breiten Masse nicht genutzt: Stammwähler immer der ein und derselben Partei aus einer alter Familientradition heraus, Wahl der persönlich als vermeintlich geringeres Übel erscheinenden Partei und alles, was nicht dem Spektrum der sog. "etablierten" Parteien zuzurechnen ist, ist sowieso alles nur Pfui, Bäh und Igitt und von daher unwählbar. An den Wahlurnen hätten wir deutliche Zeichen nach oben setzen können im Sinne von "Es reicht! Wir machen Euer Spiel nicht mehr länger mit!". Leider stand uns dabei aber nun mal unser uns so lieb, traut und bequem gewordenes Wahlverhalten im Wege. Nächstes Jahr haben wir noch einmal die Gelegenheit, von der Wahlurne aus so etwas wie eine "Revolution" in Gang zu setzen. Vielleicht ist dies sogar unsere letzte Gelegenheit dazu. Allerdings bedarf es hierfür einer vorherigen Revolution an, mit und in uns selbst, um diese möglicherweise letzte friedliche Chance entsprechend zu nutzen. Aber da unser hartnäckigster und schwerster Gegner stets das eigene Ich nebst innerem Schweinehund ist habe ich wenig Hoffnung auf eine solche "Wählerrevolution"...





7 Kommentare:

  1. Sehr schöner Text (http://www.freitag.de/autoren/geld-und-glueck/unterm-strich-machs-ich) der zu diesem sehr schönen Text gut passt.

    Grüße, Duderich

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    1. Besten Dank für den Link!

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    2. Übrigens: Wie weit wir von einer Revolution entfernt sind lässt sich u.A. von den Beliebtheitswerten der Kanzlerin ableiten.

      Aus Deinem Text lässt sich wenig Optimismus für Verbesserung der Zustände ableiten. Auch ich habe diesen nicht.
      Andererseits: Der Spaltung der Gesellschaft sind natürliche Grenzen gesetzt. Die Wachstumsgläubigkeit ist bereits widerlegt, das Trickle-Down-Versprechen der Neoliberalten wurde nicht eingelöst und die Verteilung von unten nach oben kann auch nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag durchgeführt werden.

      Mir scheint, wir bewegen uns zwangsweise auf einen Umbruch zu, haben aber keinen Schimmer, wie dieser gestaltet werden soll...

      Dystopische Grüße,
      Duderich

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  2. Ein toller Artikel und mir aus der Seele gesprochen. Es ist wahr die Macht hat sich überall herum psychologisch geschickt abgesichert. Egal was man dagegen tun kann...der Staat wird der Gewinner in diesem Spiel bleiben.
    Eine Hoffnung bleibt noch...mit den neuen Medien und der wachsenden neuen Generation wird sich ein neues Bewusstsein heraus bilden und mit neuen Techniken, u.a. das Internet eine neue Form des Widerstandes formieren mit ganz anderen Möglichkeiten als nur die Strasse.

    Solange bleibt nur der Traum: Stell dir vor es gibt Wahlen/ Krieg und keiner geht hin.

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  3. Ein vortrefflicher Artikel !

    Eine Revolution in D wird es nie geben, davon bin ich überzeugt.

    Doch in anderen Ländern (südl.) wird hier noch einiges passieren.
    (Arbeitsniederlegung, Sabotage, Brandstiftung etc.)
    Ein hoffentlicher Widerstand ist aber nur noch per Internet möglich....wobei sich hier der Graben zwischen virtuell und tatsächlich auftut.
    Eine Revolution ist, so denke ich, nur noch möglich durch den "passiven Widerstand", wie ihn z.B.M. Ghandi und M.L. King vorgelebt haben.

    Bei der heutigen Ungleichverteilung aller Mittel würde jedes "Aufbegehren" sofort im Keime erstickt werden.

    Ich denke und hoffe, die Macht des Geistes wird über den Geist der Macht siegen.

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    1. Den passiven Widerstand sehe auch ich inzwischen als einzige Chance. Aber ob der Geist der Mehrheit unserer "normalen" MitbürgerInnen dazu überhaupt noch willens bzw. fähig ist? Wir sollten trotzdem einfach weiterhin optimistisch bleiben, vielleicht werden wir von unseren Mitmichels und -michelinen in dieser Hinsicht ja doch noch angenehm überrascht.

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  4. Aus mir irgendwie unerfindlichen Gründen ist der Kommentar von "Lötard" hier nicht erschienen. Ich übertrage ihn deshalb jetzt einfach mal:

    Kommentar von Lötard am 31.08.2012, 06.02 Uhr:

    "Sobald die Masse die Ursache der Wirkung erkannt hat, entsteht eine Revolution. Das Macht-Problem bleibt, deshalb muss es ein Bestreben sein, eine Ordnung zu ersinnen, die ohne Herrschaft das Leben des postkapitalischen Menschen optimal regelt.
    Ich sage: SystemReset und Rückbesinnung auf das Wesentliche."

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