Dienstag, 31. Januar 2012

Wo, zum Kuckuck, ist bloß der Kuckuck geblieben?

Die Region, in der ich aufgewachsen bin und in der ich auch heute noch lebe, ist von Wäldern, Wiesen und Teichen geprägt. Das das Wetter hier vielfach anders ist - und zwar überwiegend schlechter und dazu noch niedrigere Temperaturen bereithält - als nur wenige Kilometer Luftlinie weiter dürfte jedoch angesichts der Tatsache, dass hier bereits auf 600m ü.NN klimatische Bedingungen wie in den Alpen auf 2000 Höhenmetern herrschen, nicht sonderlich verwundern. Nun gut, die Wälder, Wiesen und Teiche gibt es immer noch, aber trotzdem ist im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten mittlerweile irgendetwas anders geworden.

Als Kind konnte man sich - so es das Wetter denn zuließ - draußen so richtig schön austoben: Im Wald wurden Baumbuden gebaut, man ließ sich voller Übermut eine Bergwiese hinunter kullern, in warmen Sommern wurde in den von Fichten oder Wiesen umgegebenen Teichen gebadet, im Winter wurde munter gerodelt und bei mehr oder weniger waghalsigen Skiabfahrten auch mal das eine oder andere Paar Skier zu Kleinholz verarbeitet (und bei misslungenen unfreiwilligen "Ski-Stunts" auch mal etwas heftiger das Steißbein verprellt - ich weiß aus eigener schmerzhafter Erfahrung nur zu gut, wie sich das anfühlt). Zudem war man von vielen wild lebenden Waldtieren umgeben, die man natürlich auch immer mal wieder in freier Wildbahn beobachteten konnte.

Wenn ich allerdings heute so durch die hiesigen Wälder und Wiesen streife frage ich mich in Anlehnung an den Titel einer Zeichentrickserie, ob es in meiner Gegend irgendwann innerhalb der vergangenen gut 20 Jahre irgendwann tatsächlich einmal den Tag gab, als die Tiere den Wald verließen.
Früher z.B. wimmelte es in den Wäldern hier nur so von Reh- und Rotwild. Es kam nicht selten vor, dass an einem warmen Sommertag ein Reh auf dem Rasen hinter unserem Haus, das damals noch dicht am Waldrand lag, mit untergeschlagenen Vorderläufen in der Sonne vor sich hin döste. Es konnte sich aber auch schon mal ein stolzer Rothirsch auf unser Grundstück verirren, um sich dort ein wenig umzuschauen und anschließend  wieder in sein Waldrevier zurück zu begeben. Und was war es für ein herrlicher Anblick, wenn in der Abendstimmung auf der Wiese hinter dem Bergfriedhof oder auf der unserem Küchenfenster gegenüber liegenden und ebenso abschüssigen Bergwiese Rehböcke, Ricken, Kitze, Rothirsche, Hirschkühe und -kälber einträchtig ihr Abendbrot ästen. Zur Veranschaulichung hier ein aktuelleres Bild besagter "Friedhofswiese". Heute jedoch weiden darauf allerdings, wie auch auf diesem Foto, nur noch Vertreter des sog. "Harzer Höhenviehs":


Wenn es Oktober wurde und die Nächte immer kühler konnte man an jedem Fenster unseres Hauses von den umliegenden Höhenzügen her aus allen Himmelsrichtungen in allen möglichen Tonlagen das lautstarke brunftige Röhren der Rothirsche vernehmen. Und so manches Mal bin ich mit Freunden spätabends im Dunkeln in die Wälder gezogen, um evtl. zwei geweihtragende Rivalen beim Kampf beobachten zu können. Wirken die dunklen Fichtenwälder schon bei Tageslicht manchmal recht unheimlich - insbesondere bei schlechtem Wetter und wenn Nebelschwaden die bewaldeten Höhen umziehen - so erschien einem damals der Wald in stockdunkler Nacht natürlich noch bedrohlicher. Immer näher kamen wir dem Röhren und das eine oder andere mal waren wir sogar recht dicht dran an zwei "Kampfhirschen". Man konnte bereits deutlich das aneinanderschlagen der Geweihe hören, das stampfen der Hufe und das schnauben der Kontrahenten. Aber gesehen haben wir einen solchen Kampf der Könige des Waldes letzten Endes nicht ein einziges Mal. Entweder es näherten sich mit lautem Geplapper oder Gegröhle irgendwelche Touris mit demselben Ansinnen wie wir, die durch ihr dämliches Verhalten (vielleicht um ihre Angst vor der "Unheimlichkeit" des nächtlichen Waldes zu überspielen) die Hirsche natürlich verscheuchten. Oder der Wind drehte im letzten Augenblick in die falsche Richtung, trug unseren Geruch in die höchst empfindlichen "Windfänge" (Nasen) der verbissenen Zweikämpfer und wir hörten kurz darauf nur noch das eilige Davongetrappel der Hufe. Aber trotzdem war so ein Ausflug zum "Hirschebrüllen", wie man hier dazu auch sagt, immer wieder ein Erlebnis.

Seit vielen Jahren nun schon äst und röhrt in den Wäldern rund um meinen Heimatort nichts mehr. Lediglich im als Nationalpark ausgewiesenen Teil des Hochharzes gibt es das noch zu erleben. Das hat allerdings eine recht simple Ursache: Das Reh- und Rotwild wurde kurzerhand zu "Baumschädlingen" erklärt und in einem wahren "Ausrottungskrieg" massenhaft abgeknallt. Mir kam es jedoch damals schon sehr seltsam vor, dass diese Tiere zuvor schon jahrhundertelang die Rinde an den Bäumen angefressen haben und die Wälder deswegen trotzdem nicht abgestorben sind. Und jetzt auf einmal sollten sie eine akute Bedrohung für den Baumbestand darstellen? Ein jetzt ehemaliger Forstamtsleiter hat mir vor einigen Jahren auf einem Polterabend in angetrunkenem Zustand dann die wirkliche, jedoch strikt inoffizielle Begründung für diesen "Wildgenozid" verraten: Es ging schlicht und einfach auch hier hauptsächlich um finanzielle Interessen! Die Unterhaltung der Wildfütterungen sowie die Beschaffung und Bereitstellung von Futtermitteln im Winter kostete natürlich schon immer Geld. Da die Forstkasse seinerzeit ebenfalls immer leerer wurde sah man hierin ein nicht unerhebliches Einsparpotenzial. Zudem spülte die Abschußfreigabe für diese Geschöpfe dank vieler hierzu herzlich eingeladener zahlungskräftiger Jagdgäste eine recht erkleckliche Summe in die Forstkasse. Und nur darum ist es jetzt abends so leer auf den Bergwiesen und im Oktober so still in den Wäldern um mich herum geworden.

Bei anderen ehemaligen Wald- und Wiesenbewohnern ist es mit einer Erklärung für ihr spurlos anmutendes plötzliches verschwinden jedoch nicht so einfach. So gab es in meinem Heimatort im Bereich des Waldkurparks und auch an einem dicht am Ortsrand gelegenen Berg in meiner Jugendzeit eine Unmenge von Eichhörnchen. Der an vorerwähntem Berg entlanglaufende Weg war deshalb offiziell auch als "Eichhörnchenweg" ausgewiesen worden. Die possierlichen Nesträuber waren an Menschen gewöhnt und so war man dort oft von um Leckerlis bettelnden buschigschwänzigen Nagern in allen möglichen Schattierungen der Farben braun, schwarz und rot umlagert. Ganz dreiste Exemplare verliehen ihrer Bittstellerei durch hochkrabbeln an den Hosenbeinen bis rauf auf die Schultern noch zusätzlich energischen Nachdruck. Und heute? An diesen ehemaligen Eichhörnchen-Hochburgen ist es nun wie leer gefegt. Kein einziger Vertreter dieser Gattung ist dort mehr anzutreffen. Kein Hörnchen bettelt einen mehr an und es krabbelt auch keines mehr an einem rauf. Ab und an sieht man zwar irgendwo noch ein eiliges Eichenhorn einen Baumstamm hinaufdüsen, aber das ist inzwischen fast schon ein seltener Anblick geworden.

Ab Anfang Mai konnte ich aus dem nahen Wald viele Jahre lang noch den Kuckuck schlagen hören. Er gab uns allen das deutliche Signal: "Leute, hergehört: Der lange Winter ist endlich vorüber, der Frühling ist da!". Fast von einem Jahr auf das andere waren die Kuckucksrufe dann auf einmal verstummt und das ist bis heute so geblieben. Da frage ich mich schon: "Wo, zum Kuckuck, ist bloß der Kuckuck gelieben?".

Noch ein anderes Beispiel aus der Ornis: Vom gegenüberliegenden Berg her drangen nach Einbruch der Dunkelheit immer die etwas unheimlichen Rufe von Waldkäuzen bis zu unserem Haus herüber. Quasi von jetzt auf gleich waren und sind bis heute diese Rufe ebenfalls nicht mehr zu vernehmen.

Wenden wir uns nun einigen Vertretern der Gattung Lurche zu. Bei Waldspaziergängen musste man häufig aufpassen, dass man nicht unbeabsichtigt auf einen auf dem Waldweg befindlichen Feuersalamander trat. Oder auf eine Blindschleiche. Und wenn ich als Dreikäsehoch mal einen auf einer Waldwiese liegenden größeren Stein anhob, um neugierig zu erkunden, was darunter wohl sein könnte, sausten darunter plötzlich ein paar Eidechsen hervor. In Waldtümpeln tummelten sich Molche und auf dem abgestandenen Wasser in den jahrhundertealten Gräben, die zur benötigten Wasserzufuhr für die seinerzeit in Betrieb und Ausbeute stehenden Erzbergwerke angelegt worden waren, schwamm glibbriger Froschlaich. Kröten und Frösche hüpften einem schließlich damals auch immer wieder mal über den Weg. Heute ist es sozusagen schon fast ein Zufallstreffer, wenn man irgendeines der vorgenannten Kriech-, Schwimm- oder Hüpftiere zu Gesicht bekommt. Und wann genau ich das letzte Mal in meiner Umgebung Froschlaich auf einem stehenden Gewässer gesehen habe kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Lang ist´s halt her...

Und auch bei Krabbeltieren scheint irgendwann einmal eine größere Auswanderungswelle eingesetzt zu haben. Beipiel Maikäfer (zu meiner Zeit gab es allerdings schon keine mehr): Meine Mutter erzählte davon, dass sie als Kind immer Maikäfer zu fangen versuchte und das es auf einmal dann keine mehr gegeben hätte.
Ich weiß hingegen aber noch ganz sicher, dass sich auf den Waldwiesen in meiner Kindheit und Jugend bedeutend mehr Grashüpfer rumgetrieben haben als wie heutzutage. Man stößt jetzt lediglich mal auf ein Einzelexemplar. Und was war das an den Teichen immer für ein Geschwirre, wenn in allen möglichen Farben grell leuchtende Libellen in stattlicher Zahl dort umherflogen. Heute sieht man lediglich mit Glück mal wieder einen einzelnen dieser "Mini-Hubschrauber" seine Runden an und über einem dieser Wald- oder Wiesenteiche drehen. Hier zur Vermittlung eines besseren Eindrucks davon ein Beispielfoto für so einen Teich (in diesem hier habe ich als Jungspund auch häufig geplantscht):


Die damals in Scharen vorkommenden Marienkäfer scheinen übrigens ebenfalls bedeutend an Bevölkerungsanzahl verloren zu haben, denn man sieht sie mittlerweile ebenfalls oftmals nur noch als Einzelgänger irgendwo rumkrabbeln. Und wie oft habe ich fasziniert die verschiedenen Raupen auf den Blättern unserer Gartenbüsche betrachtet. Doch irgendwann hatte es sich plötzlich ausgeraupt und die Blätter blieben leer.
Weiter oberhalb unseres Hauses auf  Bergeshöh´ verlief ein Waldweg, dessen Ränder sozusagen haufenweise die Haufen der roten und schwarzen Waldameise säumten. Dies führte dazu, dass jener Weg auch als "Ameisenweg" benannt wurde. Und auch andernorts querten diese kleinen "Saubermänner" des Waldes immer wieder den sonntäglichen Spazierweg. Doch eines Jahres waren die Haufen plötzlich verlassen. Nicht eine einzige Emse und kein einziger Emserich krabbelte mehr darauf und darin herum. Und auch auf anderen Waldwegen stieß man nicht mehr auf so einen - irgendwelches natürliches Baumaterial für den ameisenvolkseigenen Haufen oder ein Beutetier schleppenden - Mini-Muskelprotz. Fort, weg, vom Erdboden verschluckt. Das eine oder andere Jahr standen die nunmehr unbevölkerten Ameisenhaufen noch still am Wegesrand, wurden dann jedoch irgendwann mangels Nachmietern forstlicherseits entfernt.

Wenn ich mir nun so in Erinnerung rufe, welches und wie viel laufendes, kriechendes, fliegendes, hüpfendes, schwimmendes und krabbelndes Getier mich durch meine Kindheit und Jugend begleitet hat und was davon heute noch übrig geblieben ist scheint es ihn zumindest in meiner Ecke wohl doch irgendwann einmal gegeben zu haben - den Tag, an dem die Tiere den Wald verließen. Stellt sich nur noch die Frage nach dem "Warum?" und dem "Wohin?". Oder umgekehrt...









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