Freitag, 31. August 2012

Übersetzungsversuche Politsprech - Deutsch

Hier ein kleiner Versuch, einige von Politikern immer wieder gern benutzte Sätze in ein allgemein verständliches Deutsch zu übersetzen:

Politsprech: "Wir haben es uns mit dieser Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht und innerhalb der Fraktion wurde der Sachverhalt bis spät in die Nacht hinein äußerst kontrovers diskutiert. Dennoch haben wir heute aus bestimmten Sachzwängen heraus, auf die ich hier jedoch nicht weiter eingehen kann und auch nicht eingehen möchte, sowie mit Rücksicht auf unseren derzeitigen Koalitionspartner dem Gesetzesentwurf bezüglich ..., wenn auch nur mit äußerst großen Bauchschmerzen verbunden, letztlich dann doch zugestimmt."

Deutsch: "Natürlich machen wir nach der Wahl das genaue Gegenteil von dem, was wir Euch im Wahlkampf versprochen haben! Was habt Ihr denn gedacht?"

Politsprech: "Das war mit unserem Koalitionspartner nun mal leider nicht anders zu machen."

Deutsch: "Schuld sind sowieso immer nur die anderen!"

Politsprech: "Wir müssen beim Bürger/Wähler wieder den Eindruck erwecken, dass..."

Deutsch: "Wir täuschen und blenden Euch weiter!"

Politsprech: "Mit uns jedenfalls ist sowas in keinem Fall zu machen - niemals!"

Deutsch: "Alles eine reine Frage der Höhe einer entsprechenden Parteispende!"

Politsprech: "Das ist nun mal leider alternativlos!"

Deutsch: a) "Durch meine/unsere persönlichen Verbindungen, Abhängigkeiten und Verflechtungen mit  der Finanz-/Versicherungswirtschaft/Wirtschaft allgemein/Industrie sind mir/uns nun mal die Hände gebunden und genau das lässt somit keine Berücksichtigung vernünftigerer Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Krise zu. Ich/Wir säge/sägen mir/uns doch nicht selbst den Ast ab, auf dem ich/wir gerade wegen dieser Verbindungen so gut gepolstert sitze/sitzen und auch zukünftig zu sitzen gedenke/gedenken!"

b) "Ich bin/Wir sind nun mal ideologisch dermaßen verstockt und verbohrt, da dringen halt keine alternativen Meinungen und Gegenvorschläge mehr bis in mein Gehirn/unsere Gehirne durch, auch wenn diese noch so überzeugend und sogar richtig sein sollten."

Politsprech: "Ich werde da ganz genau hinschauen!" Alternativ: "Ich werde mir das ganz genau ansehen!"

Deutsch: "Lasst mich bloß mit diesem Scheiß in Ruhe!"

Politsprech: "Pragmatische Politik lebt nun mal in der Hauptsache von Kompromissen."

Deutsch: "Eine Hand wäscht die andere."

Politsprech: "Es besteht für die Bürgerinnen und Bürger kein Anlass zur Sorge oder Beunruhigung!"

Deutsch: "Leute, jetzt wird´s ungemütlich - aber nur für Euch!"

Politsprech: "Die Ausübung von Nebentätigkeiten ist für Abgeordnete vor allem deswegen unerlässlich, weil sie dadurch den Bezug zur Lebenswirklichkeit nicht verlieren."

Deutsch: a)"Ich mach´ mir dann mal eben nebenbei die eigenen Taschen ordentlich voll!/Ich bereite schon mal die eine oder andere lukrative Anschlußverwendung für die Zeit nach Beendigung meiner politischen Tätigkeit vor."
b) "Ätsch, ich darf völlig legal schwarz arbeiten und Ihr nicht!"

Politsprech: "In diesen schwierigen Zeiten werden wir um weitere tiefgreifende Reformen nicht umhinkommen. Dieses wird bedauerlicherweise für viele Menschen in unserem Land erhebliche und schmerzhafte Einschnitte in ihren bisher gewohnten Lebensumständen mit sich bringen."

Deutsch: "Die Finanzcasinos brauchen noch mehr von Eurem Geld! Aber auch nur von Eurem, hähähä!"
Zusatzübersetzung für "bedauerlicherweise": "Das geht mir doch am Ar......äh... Allerwertesten vorbei!"

Politsprech: "Es gibt kein höheres Gut, als ein Leben in Freiheit genießen zu können/zu dürfen!"

Deutsch: "Die Freiheit, die ich meine, könnt Ihr Euch sowieso nicht leisten - aber ich, hihihi..."

Politsprech: "Wir als Opposition werden alles uns nur irgend mögliche daran setzen, die Umsetzung dieser unsäglichen Regierungsentscheidung zu verhindern!"

Deutsch: "Keine Angst, liebe Regierung. Man kennt sich ja und darum tut man sich auch nicht weh. Außerdem möchten wir nach der nächsten Wahl doch soooo gern mit Euch mitregieren dürfen. Wir werden Euch darum in Wirklichkeit keine ernsthaften Schwierigkeiten machen. Wir werden lediglich  ein bisschen heiße Luft zur Beruhigung der Gemüter unserer potentiellen Wählerschaft ablassen, mehr aber auch nicht - versprochen!"

Politsprech: "Man muss einfach auch mal das große Ganze sehen und das sieht der Bürger/Wähler im Gegensatz zu uns eben nicht."

Deutsch: "Ihr seid alle doof!"

Politsprech: "Die von uns getroffenen Entscheidungen waren ausnahmslos alle richtig, wir haben sie dem Bürger/Wähler gegenüber wohl nur etwas schlecht kommuniziert."

Deutsch: "Ihr seid alle doof!"

Politsprech: "Dem Bürger/Wähler fehlt nun mal die Übersicht über als auch das erforderliche Verständnis für die Gesamtzusammenhänge."

Deutsch: "Ihr seid alle doof!"

Politsprech: Den Bürgern/Wählern fehlt einfach das nötige Hintergrund- und Fachwissen, um sie direkter am Prozess der politischen Entscheidungsfindung hinsichtlich ... beteiligen zu können."

Deutsch: "Ihr seid alle blöd!"

Politsprech: "Wir danken unseren Wählern für das durch die Stimmabgabe für unsere Partei ausgesprochene Vertrauen!"

Deutsch: "Schön, dass Ihr alle so doof/blöd seid! Bleibt bitte auch weiterhin so wie Ihr seid. Herzlichen Dank dafür schon mal im Voraus!"

Donnerstag, 30. August 2012

Revolution jetzt? Leider zu spät...

In den Leser-Kommentarbereichen vieler Blogs und den Onlineausgaben diverser Zeitungen kann man häufig lesen, dass das Volk endlich aufwachen und sich gegen die momentanen neoliberalen Machtverhältnisse zur Wehr setzen müsse. Dabei werden nicht selten auch Begriffe wie "Volksaufstand" und "Revolution" verwendet.
Bis vor einiger Zeit stand auch ich solch revolutionären Gedanken im traditionellen Sinne noch durchaus aufgeschlossen gegenüber. Inzwischen jedoch fürchte ich, dass so eine Massenerhebung auf den Straßen nur eines gehen kann, nämlich schief.

Es haben sich in den vergangenen Jahren nun mal zu starke persönliche und wirtschaftliche Verflechtungen zwischen unseren "Eliten" und ihren dienstbaren Geistern in der großen Politik entwickelt und verfestigt. Da steht für unsere ReGIERigen mittlerweile viel zu viel auf dem Spiel, als das sie sich widerstandslos dem Druck der Strasse beugen würden. Die von Elitenforscher Michael Hartmann festgestellte zunehmende "Radikalisierung der Eliten" sowie die dort "oben" überwiegend vorherrschende Sichtweise des Neoliberalismus als alternativlose Ideologie als auch neue Religion sowie der (Finanz)Märkte als unantastbare neue Gottheit dürften ebenfalls dazu beitragen, dass die Hemmschwelle für eine gewaltsame Unterdrückung einer solchen Volkserhebung an den entscheidenden Stellen wohl recht niedrig liegen würde. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass sich unsere "Eliten" von Millionen von Menschen in den größeren Städten, die für in deren Augen so unnützen Firlefanz wie die Rückkehr zu mehr sozialer Gerechtigkeit auf die Straßen gehen, sonderlich beeindrucken lassen würden. Da könnte man z.B. schnell ein paar Provokateure unters friedlich demonstrierende Volk mischen, die mal eben mit einer Schreckschusspistole in die Luft ballern und schon wäre eine "katastrophische Ausnahmesituation" gegeben, die den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr rechtfertigen würde. Ein Anlass, um das Aufbegehren der Bevölkerung gegen die herrschenden Verhältnisse sowie der davon allein profitierenden  Klasse gewaltsam niederzuschlagen bzw. niederschlagen zu lassen, lässt sich nun mal ohne große Umstände inszenieren. Wer über das meiste Geld verfügt hat nun mal die größte Macht  bzw. die besten Möglichkeiten der Einflussnahme auf die verantwortlichen Stellen und wird auch immer Mittel und Wege finden, diese gewonnene Macht gegenüber dem aufmuckenden "Pöbel" abzusichern. Über eventuelle verfassungsrechtliche Mängel hinsichtlich eines gegen die eigene Bevölkerung gerichteten militärischen Einsatzes wird ggf. später in einer aktuellen Stunde im Bundestag kurz diskutiert, die Verhältnismäßigkeit der gewählten Mittel aufgrund der besonderen "katastrophischen Ausnahmesituation" von einer Dreiviertelmehrheit als gegeben erachtet und damit als verfassumgskonform abgehakt. Das war´s dann auch schon damit.

Nun könnte man darauf vertrauen, dass unsere Soldaten im Falle eines Falles schon nicht auf die eigene Bevölkerung schießen würden. Bei einer Wehrpflichtigenarmee würde ich dieses Vertrauen sogar teilen, aber bei einer Berufsarmee? Vielleicht würde man die Soldaten vor ihrem Einsatz mit der Auslobung von Sonderurlaub und der Zahlung von Sonderzulagen nach einer erfolgreichen Bekämpfung der "Aufständischen" so richtig "heiß" machen. Und auch verbal könnten sie entsprechend "scharf" gemacht werden. Ich erinnere mich z.B. noch recht gut an unseren evangelischen Militärseelsorger bei der Bundeswehr, der uns in seinen "Religionsstunden" immer und immer wieder das Bild von den schrecklich bösen und gottlosen Kommunisten im Osten einzuhämmern versuchte. Wenn die erstmal in die Bundesrepublik einfallen würden, dann würden sie mordend, plündernd, brandschatzend und vergewaltigend unser gesamtes ach so schönes und freies Land verheeren. Auf kritische Nachfragen wie "Und wie sieht das bei uns dann mit dem Gebot `Du sollst nicht töten´ aus?" oder "Ich soll dann auf meinen Cousin aus der DDR schießen?" kam dann stets: "Ihr kämpft schließlich für eine gute Sache! Ihr kämpft für das Christentum, für Eure und die Freiheit Eurer Familien sowie für deren Schutz! Gott ist dann auf Eurer Seite und wird Euch das Töten aus diesen Gründen vergeben!". Mit ähnlichen Verbalattacken könnten wohl auch unsere heutigen Soldaten entsprechend "motiviert" und im Namen der Freiheit auf die "bitterbösen Feinde im eigenen Volk" losgelassen werden. Am Ende stünden auf beiden Seiten wohl zahlreiche Todesopfer, lebenslang Verstümmelte und Traumatisierte. Der Satz des französischen Moralisten Joseph Joubert dürfte also auch heute noch seine Berechtigung finden: "Revolutionen sind Zeiten, in denen der Arme seiner Rechtschaffenheit, der Reiche seines Reichtums und der Unschuldige seines Lebens nicht sicher ist.".

Gesetzt den Fall, es gelänge tatsächlich jemandem, die Menschen aus ihrer Trägheit, ihrem Desinteresse, ihrer Bequemlichkeit und ihrem (angeborenen oder anerzogenen?) Untertanengeist zu wecken (wer das sein könnte und wodurch er dies erreicht haben würde sei hier einfach mal außen vor gelassen), größere Menschenmassen auf die Straßen und Plätzen unserer Städte zu bewegen, die dort geschlossen für die Berücksichtigung und Durchsetzung ihrer berechtigten Forderungen und Interessen eintreten würden. Und gesetzt den Fall, das Ganze würde zu einem für die sich Erhebenden und Empörenden erfolgreichen Ende gebracht werden - ob nun teuer durch Menschenleben, Blut und Leid erkämpft oder aber wider Erwarten auf friedlichem Wege soll hier ebenfalls dahingestellt bleiben - , so würde sich die Frage stellen: Und was nun? Würde man ohne Probleme eine Regierung installieren können, die tatsächlich das ausschließliche Wohlergehen ausnahmslos aller Bevölkerungsgruppen im  Auge hat? Oder würden sich "am Tag danach" neue Gruppierungen aus z.B. "gemäßigten" und "radikalen" Revoluzzern bilden, von denen jede für sich die alleinige Deutungshoheit über den weiteren Weg des Landes und seiner Menschen beansprucht und die sich in der Folge gegenseitig "an die Gurgel gehen" würden? Vielleicht sind ja auch "Rechte" und "Linke" während der Massendemonstrationen einträchtig nebeneinander gestanden, haben gemeinsam "Wir sind das Volk" gerufen und beginnen jetzt, wo alles vorbei ist, sich gegenseitig ggf. sogar bis aufs Blut zu bekämpfen. Worauf ich übrigens auch keine große Lust habe sind Personen, die vor dem "Volksaufstand" lautstark die Trommel zum Streite gerührt haben, während der "Straßenkämpfe" aber vorsichtshalber erst mal lieber die weitere Entwicklung abwartend in sicherer Deckung verblieben sind und danach, wenn "das Volk" gesiegt hat, wieder aus ihren Löchern vorgekrochen kommen, um sich nun der Allgemeinheit als die einzig wahren Revolutionsführer und zukünftigen Heilsbringer zu präsentieren. Oder gar diejenigen, die vorher keinen einzigen öffentlich vernehmbaren Mucks von sich gegeben haben und sich hinterher als "führende Köpfe der Revolution" darzustellen und dieses dem verzückten Volk erfolgreich unterzujubeln verstehen im Sinne von "So, hier sind wir und jetzt zeigen wir Euch mal die allein selig machende Wahrheit und wie und wo es ab jetzt langgeht!". Nein danke, auf so eine "Gauckerei" habe ich nun wirklich keinen Bock. Außerdem spukt mir beim lesen der Forderungen nach einer "richtigen" Revolution immer ein Ausspruch des Schriftstellers Johannes Scherr im Hinterkopf herum: "Die Rebellen von heute sind die Despoten von morgen.".

Wie auch immer, vor 10 Jahren vielleicht wäre so eine "Straßenrevolution" eventuell noch unblutig und sogar erfolgreich verlaufen. Heute hingegen sehe ich diesbezüglich aus den weiter oben angeführten Gründen jedoch leider tiefschwarz. Wir hätten außerdem in den vergangenen Jahren durchaus auch noch genügend Möglichkeiten für eine "Revolution an den Wahlurnen" gehabt. Dummerweise haben wir diese Chancen aufgrund des altbekannten Wahlverhaltens der breiten Masse nicht genutzt: Stammwähler immer der ein und derselben Partei aus einer alter Familientradition heraus, Wahl der persönlich als vermeintlich geringeres Übel erscheinenden Partei und alles, was nicht dem Spektrum der sog. "etablierten" Parteien zuzurechnen ist, ist sowieso alles nur Pfui, Bäh und Igitt und von daher unwählbar. An den Wahlurnen hätten wir deutliche Zeichen nach oben setzen können im Sinne von "Es reicht! Wir machen Euer Spiel nicht mehr länger mit!". Leider stand uns dabei aber nun mal unser uns so lieb, traut und bequem gewordenes Wahlverhalten im Wege. Nächstes Jahr haben wir noch einmal die Gelegenheit, von der Wahlurne aus so etwas wie eine "Revolution" in Gang zu setzen. Vielleicht ist dies sogar unsere letzte Gelegenheit dazu. Allerdings bedarf es hierfür einer vorherigen Revolution an, mit und in uns selbst, um diese möglicherweise letzte friedliche Chance entsprechend zu nutzen. Aber da unser hartnäckigster und schwerster Gegner stets das eigene Ich nebst innerem Schweinehund ist habe ich wenig Hoffnung auf eine solche "Wählerrevolution"...





Montag, 27. August 2012

Spruchweisheiten und Zitate zur "Armut"

Das sicherste Mittel arm zu bleiben ist, ein ehrlicher Mensch zu sein. (Napoleon Bonaparte)

Über die Armut braucht man sich nicht zu schämen.
Es gibt mehr Leute, die sich über ihren Reichtum schämen sollten. (Johann Nepomuk Nestroy)

Dem Bedürftigen zu geben heißt nicht schenken, sondern säen. (Baskisches Sprichwort)

Es ist besser, einen leeren Geldbeutel zu haben als an einer leeren Seele zu leiden. (William Pitt)

Der Arme kennt seine Verwandten besser als der Reiche. (Sprichwort unbekannter Herkunft)

Arm ist nicht, wer wenig hat, sondern wer viel bedarf. (Sprichwort unbekannter Herkunft)

Der Bettler ist stolz, kein Dieb zu sein. (Japanisches Sprichwort)

Vielleicht müssen wir alle ein wenig ärmer werden, damit wir reicher werden. (Horaz)

Für Heuchelei gibt´s Geld genug. Wahrheit geht betteln. (Martin Luther)

Wen auch immer du elend sehen wirst: Wisse, dass er ein Mensch ist. (Seneca)

Mit tierischer Geschäftigkeit häuft man einen Berg von Reichtum an, das Leben aber bleibt dabei arm. (Epikur)

Der Staat sollte vorzüglich nur für die Ärmeren sorgen, die Reichen sorgen leider nur zu sehr für sich selbst. (Johann Gottfried Seume)

Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend ist. (Adam Smith)

Ich stehe Statistiken etwas skeptisch gegenüber. Denn laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Kerl jeder eine halbe Million. (Franklin Delano Roosevelt)

Es wäre besser, an der Verhütung des Elends zu arbeiten, als die Zufluchtsplätze für die Elenden zu vermehren. (Denis Diderot)

Wenn die Reichen die Armen ihrer Rechte berauben, so wird das ein Beispiel für die Armen, die Reichen ihres Eigentums zu berauben. (Thomas Paine)

Dem Arbeiter, der kein Brot hat, ist es ganz einerlei, nach welcher Definition er verhungert. (Daniel Spitzer)

Im Kampf gegen die Armut entstehen alle großen menschlichen Leistungen. (John Knittel)

Die Armut ließe sich rasch beseitigen, wenn sich die Wohlhabenden daran bereichern könnten. (Emanuel Wertheimer)

Auf andere herabzusehen macht kleiner und ärmer. Es geschieht von einem Standpunkt, von dem keine menschliche Wärme ausgeht und an den keine gelangt. (Else Pannek)

Dieses Land ist ein armes Land. Die Menschlichkeit wurde aus Kostengründen gestrichen. (Else Pannek)

Der Armut fehlt einiges, der Habsucht alles. (Christian Friedrich Wilhelm Jacobs)

Hör auf dein Geld zu zählen. Gib den Armen und du wirst reich. (Arabisches Sprichwort)

Genügsamkeit ist natürlicher Reichtum, Luxus künstliche Armut. (Sokrates)

Wenn das Leben vollendet ist, gehen wir mit leeren Händen fort. (chinesisches Sprichwort)

Freitag, 24. August 2012

Verdirbt zuviel Geld den Charakter?

In der ARD-Sendung "Panorama" wurde gestern abend ein Beitrag ausgestrahlt, der sich mit der zunehmenden Entsolidarisierung unserer Gesellschaft befasst. Hierin wird dargestellt, wie sich sog. "Besserverdienende" gegen geplante oder bereits bestehende soziale Einrichtungen in "ihrem" Wohngebiet - auch mithilfe von unwahren Behauptungen und Vorurteilen -  erfolgreich zur Wehr setzen:

Dieser Beitag ist eine hervorragende Ergänzung zu der von der Unternehmerin Claudia Obert in der Sendung "Menschen bei Maischberger" am vergangenen Dienstag getätigten Äußerung im Sinne von "Es gibt in meinen Augen keine Arbeitslosen, nur Arbeitsscheue". Bei Klaus Baum wurde hierauf bereits ausführlich eingegangen: http://klausbaum.wordpress.com/2012/08/22/claudia-obert/

Wenn ich derartige Beiträge sehe stellt sich mir jedenfalls immer die Frage: Wie ticken wohlhabendere Menschen eigentlich und was für ein Welt- und Menschenbild ist ihnen zueigen? Natürlich kann man nicht alle Besserverdienenden/Wohlhabenden über einen Kamm scheren. So wie bei allen anderen Bevölkerungsgruppen gibt es auch unter ihnen solche und solche. Allerdings scheinen mittlerweile in weiten Kreisen dort "oben" verstärkt Standesdünkel Einzug gehalten zu haben. Wie anders lässt es sich z.B. erklären, dass ein Gericht trotz erwiesener falscher Behauptungen seitens der klagenden Anwohnerschaft aus dem "gehobenen Bürgertum" - welche der Anwalt der Kläger freimütig vor der Kamera zugab - sein Urteil zu deren Gunsten fällt? Richter gehören schließlich auch nicht gerade zu den Geringverdienern im Lande. Ist dieses Urteil somit als eine Art Solidaritätsbekundung unter Standesgenossen zu verstehen?

Wird mensch mit steigendem Einkommen/Vermögen nun evtl. anfälliger für die Ausbildung charakterlicher Mängel? Gehen dabei im Laufe der Zeit mit dem wachsenden Kontostand ursprünglich vorhandene Eigenschaften wie Solidarität mit sozial Schwächeren, Empathie und Bodenhaftung immer mehr verloren? Ändert sich das eigene Welt- als auch Menschenbild dabei grundlegend? Offen eingestanden: Ich weiß es nicht. Ich kann mich in die Denkmuster eines wohlhabenden Menschen mangels eigener dahingehender Erfahrung nun mal nicht hineinversetzen. Wie jeder "einfache" Mensch spiele aber natürlich auch ich gelegentlich mal mit dem Gedanken "Was wäre wenn...".
Gut, die Wahrscheinlichkeit, dass ich irgendwann einmal über nennenswerte Vermögenswerte verfügen sollte, ist äußerst gering. Außer Lotto ist da nichts weiter an diesbezüglichen Chancen und da ich aus finanziellen Gründen nicht regelmäßig spielen kann ist die eh schon allgemein recht dürftige Gewinnwahrscheinlichkeit bei mir noch niedriger anzusetzen. Aber es könnte ja dennoch mal sein, dass...

Und falls dieser unwahrscheinliche "Ernstfall" dann doch mal unerwarteterweise eintreten sollte habe ich mir natürlich schon einen Verhaltenskodex dazu zurecht gebastelt. So habe ich mir z.B. für den Fall der Fälle ganz fest vorgenommen, auf gar keinen Fall "abzuheben", sondern mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu bleiben. Ich habe nicht vor, mir ein tolles Häuschen in einer "besseren" Wohngegend zu errichten, ich möchte mir keinen Luxusschlitten zulegen und auch keinen überflüssigen Technikschnickschnack wie den neuesten Super-3D-Megafernseher. Ich möchte das Geld auch nicht zur weiteren Vermehrung in irgendwelche Spekulations- oder sonstige Finanzmarktprodukte stecken. Ich möchte weiterhin "normal" bleiben und nicht auf andere, die weniger Glück hatten, herabsehen. Ich möchte im Gegenteil andere Menschen an meinem Glück teilhaben lassen und soziale Einrichtungen und Projekte für Mensch und Tier fördern und unterstützen. Der einzige Luxus, den ich mir gönnen würde, wäre für ein paar Wochen die winterliche Flucht aus meiner "Kühlschrankgegend" in etwas wärmere Gefilde. Kurzum: Ich möchte trotz plötzlichen Reichtums weiterhin bescheiden bleiben, dabei nicht vergessen, woher ich komme und versuchen, so "anständig" wie möglich zu bleiben sowie hilfebedürftige Menschen fördern und unterstützen. Soweit dann die Theorie.

Ob diese guten Vorsätze von mir dann in besagtem "Ernstfall" jedoch auch vollständig in die Praxis umgesetzt würden? Ich kann es ehrlich gesagt nicht versprechen. Ich weiß schließlich nicht, ob bei mir irgendwo da oben nicht doch irgendwas "aushakt", wenn mich von jetzt auf gleich ein entsprechend hoher Betrag von meinem Kontoauszug her anlächeln sollte. Vielleicht falle auch ich dem Größenwahn anheim und es packt mich die Gier nach immer noch mehr. Möglicherweise lebe auch ich dann mit diesen furchtbaren Verlustängsten, dass eines Tages all das viele schöne Geld auf einen Schlag weg bzw. nichts mehr wert sein könnte. Vielleicht empfinde auch ich mich dann als "Leistungsträger", der verächtlich auf all die kleinen Habenichtse unter sich schaut und der das zahlen von Steuern als staatliche Enteignung betrachtet. Eventuell werde auch ich dann entsolidarisiert und gehe des Verständnisses und Mitgefühls anderen Menschen sowie ihren Lebensumständen gegenüber komplett verlustig. Mein bisheriges Welt- und Menschenbild könnte sich somit grundlegend wandeln. Es könnte sein, dass mir diese ungewohnte "Höhenluft" nun mal nicht bekommt. Möglicherweise werde ich dadurch bedingt ganz schnell ganz stark vergesslich und trete meinen ursprünglich aufgestellten Verhaltenskodex für den Ernstfall Stück für Stück in die Tonne. Ich weiß eben nicht, ob ich stark genug sein würde, um im Falle plötzlichen und unerwarteten Reichtums meinen Charakter vor den vorgenannnten Vergiftungserscheinungen zu schützen.

Wie gesagt, ich habe mir fest vorgenommen, auch als "Wohlhabender" weiterhin einfach nur ein Mensch unter vielen anderen Menschen zu bleiben. Aber ob ich letztlich nicht doch ganz anders "ticken" würde als wie zur jetzigen Zeit, diese Frage muss halt offen bleiben. Andererseits - die Antwort darauf würde ich allerdings dann schon mal ganz gern in der Praxis finden können dürfen...


Donnerstag, 23. August 2012

Wenn du reden könntest, alter Lindenbaum...Teil 3

Vielleicht erinnert sich unsere Linde noch an den Tag, als die männliche Jugend des Ortes arg lädiert aus dem benachbarten Zellerfeld zurückkehrte, wo sie sich mit den dortigen Jugendlichen anlässlich eines Besuches Herzog Heinrichs mit Holzschwertern bewaffnet einen Schaukampf lieferte. Allerdings steigerten sich die jungen Heißsporne in einen regelrechten Kampfrausch, der vollends aus dem Ruder zu laufen drohte, als - nachdem es die ersten blutigen Köpfe gegeben hatte - auch noch die Erwachsenen  anfingen mitzumischen. Der raubeinige Herzog hat sich zunächst über die immer wilder werdenden Kampfhähne köstlich amüsiert, aber nachdem die ersten Schwerverletzten auf dem "Schlachtfeld" liegengeblieben waren ließ er die inzwischen wie rasend aufeinander eindreschenden "Krieger" dann doch auseinander bringen. So manch einer dieser verwundeten "Holzschwertritter" dürfte nach Rückkehr aus dieser "Schlacht" an der Linde vorbei gewankt oder getragen worden sein.

Das Jahr 1545 dürfte unserem Lindenbaum wohl ebenfalls noch in unguter Erinnerung geblieben sein. Herzog Heinrich der Jüngere war zu jener Zeit während einer Fehde mit dem Landgrafen von Hessen, dem Kurfürsten von Sachsen sowie mit der Freien Reichsstadt Goslar, die er wegen des reichen Bergbaus am Rammelsberg unbedingt in seinen Besitz bringen wollte, erst aus seinen Landen vertrieben und später gefangen genommen worden.
Da die über den "wilden Heinz" verärgerten Goslarer den Herzog selbst nicht greifen konnten, da er im hessischen Ziegenhain eingekerkert war, überfielen in diesem Jahr 200 Goslarer Bürger aus Rachegelüsten heraus die kleine, noch junge und zudem schutzlose Bergstadt. Nachdem auf der oberhalb des Ortes gelegenen "Bettelmannswiese" ein Eseltreiber mit einem Schlachtschwert jämmerlich erschlagen wurde strömten die Goslarer in den Ort selbst und plünderten die Häuser. Die Einwohner waren zwar größtenteils in die Umgebung geflohen, dennoch wurden einige von ihnen von den Eindringlingen gefangen genommen und bei deren Abzug mit nach Goslar geführt. Allerdings hatten nicht alle Goslarer das Signal zum Aufbruch mitbekommen und so waren diese noch immer mit dem durchsuchen von Häusern beschäftigt, als zunächst nur die männlichen Einwohner in den Ort zurückkehrten.
Ein Goslarer Schneider wurde beim Brauhaus aufgegriffen und von den wütenden Wildemannern zusammengeschlagen. Da er trotz seiner erlittenen schweren Verletzungen nicht sterben konnte wurde ihm von einem Beteiligen aus "Mitleid" die Kehle durchgeschnitten. Auf ihrer weiteren Suche nach Nachzüglern wird ein "mit zwei Rohren" bewaffneter noch recht junger Bursche von Michel Dannenberger geschnappt, der diesen Goslarer aber aufgrund dessen Jugend verschonen wollte und lieber als Geisel benutzt hätte. Doch der empörte Mob kannte kein Erbarmen und so wurde der junge Mann mit eisernen Flegeln erschlagen.
Als in einem Haus ein noch immer mit plündern befasster Goslarer aufgrund des Tumults draußen aus dem Fenster sieht wird er von Veit "Scheußlich" Bauer mit einem Pistolenschuss in den Kopf getötet.
Vielleicht war es ja in der Nähe unserer Linde, wo der Sohn des Goslarer Ratsherrn Platener um sein Leben gefleht hat, nachdem er als Letzter von den Bergstadtbewohnern aufgespürt worden war. Aufgrund seines Versprechens, für die Freilassung der gefangenen Wildemanner zu sorgen, wird er zur Stauffenburg bei Münchehof gebracht, wo er bis zur Rückkehr derselben in Verwahrung bleibt. Die toten Goslarer werden in den Pochsand am Pochwerk geworfen, wo sie solange liegenbleiben, bis das Hochwasser der Innerste sie irgendwann mitnimmt und auf Nimmerwiedersehen fortschwemmt.

Wie wir inzwischen wissen war Herzog Heinrich ein strenger und überzeugter Katholik, während die anderen Landesherren um ihn herum dem neuen lutherischen Glauben anhingen. Dieses war somit ein weiterer Grund für Unstimmgkeiten mit seinen Nachbarn. Nach dem Sieg Kaiser Karls V. über den Schmalkaldischen Bund in der Schlacht bei Mühlberg 1547 war Heinrich mittlerweile in sein Herzogtum zurückgekehrt und begann eifrig mit der Rekatholisierung seiner Lande. Der Oberharz jedoch blieb davon ausgenommen.
Und so kam es, dass das lutherische Wildemann im Jahr 1553 von einer zweihundert Mann starken streifenden Rotte des lutherischen Grafen Volrath von Mansfeld überfallen wurde, bloß weil es einen katholischen Landesherrn hatte. Nachts um zwei Uhr drangen die Söldner des Grafen in den Ort ein, warfen Feuerbrände in einige Häuser und begannen mit der Plünderung. Die Linde hat dabei wohl recht gut sehen können, wie unweit von ihr beim damaligen Pfarrhaus Wolff Lichtgießer und Hans Wolff von Herrhausen auf der Straße erschossen wurden. Vielleicht geschah es ja auch in einem der ihr gegenüberstehenden Häuser, wo der Sohn von Andreas Großvogel von den Marodeuren in seinem Bett erschlagen wurde. Und auch den Feuerschein des beim Rückmarsch des "Kriegsvolks" in Brand gesteckten Richtschachtes der Grube "Wildemann" auf dem Plateau schräg hinter ihr wird unser Lindenbaum wohl wahrgenommen haben.

Die kleine Bergstadt erholte sich jedoch stets recht schnell von all diesen Katastrophen, nicht zuletzt wegen des auch weiterhin blühenden Bergbaus. Da die beiden älteren Söhne Heinrichs des Jüngeren in der Schlacht bei Sievershausen 1553 gefallen waren übernahm nach des Herzogs Tod im Jahr 1568 dessen jüngster Sohn Julius dessen Nachfolge. Von seinem Vater wegen einer leichten Körperbehinderung aufgrund einer in der Kindheit bei einem Unfall erlittenen Verletzung als Schwächling verspottet und von daher für seine Nachfolge als ungeeignet betrachtet sowie später wegen seiner offenen Sympathie für den lutherischen Glauben verachtet, erwies sich Julius als wahrer Glücksfall für diejenigen Oberharzer Bergstädte, die seiner Herrschaft unterstanden. Unter seiner umsichtigen und friedfertigen Regierung erreichte der Bergbau sowie die mit und von ihm lebenden Ortschaften ihre höchste Blüte.
Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel

                                                                                                       
Bis zum 30-jährigen Krieg blieb die kleine Bergstadt Wildemann von weiteren kriegerischen Ereignissen verschont. Doch die Schrecken dieses Krieges machten auch vor ihr nicht halt. Was nun unsere Linde hierbei erlebt hat werden wir dann im vierten Teil erfahren.

Freitag, 17. August 2012

Kinderarmut in Deutschland musikalisch aufbereitet

Zum Thema "Kinderarmut in Deutschland" hier der Songtext zu "Sandmann" von der Gruppe "Oomph" :

Sandmann

Armes Deutschland,
kannst du deine Kinder sehen, 
wie sie vor dem Abgrund Schlange stehen?

Krankes Deutschland,
kannst du ihre Angst verstehen,
wenn sie schlafen gehen?

LaLeLu,
nur der Mann im Mond schaut zu, 
wenn die armen Kinder schlafen,
drum schlaf auch du.

LaLeLu,
und das kleine Herz friert zu,
wenn die andren Kinder fragen:
Wie viel hast du?

Sandmann, Sandmann, 
mach die Lichter aus.
Die Wahrheit ist grausam,
drum schenk mir einen Traum.

Sandmann, Sandmann,
komm zu mir nach Haus.
Streu mir Sand in meine Augen
und weck mich nie wieder auf.

Armes Deutschland,
kannst du deine Kinder sehen, 
wie sie langsam vor die Hunde gehen?

Reiches Deutschland,
wann wird dir der Spaß vergehen,
wann wirst du verstehen?

LaLeLu,
nur der Mann im Mond schaut zu...

LaLeLu,
und das kleine Herz friert zu...

Sandmann, Sandmann,
mach die Lichter aus...

Sandmann, Sandmann,
komm zu mir nach Haus...

Trocken Brot macht Wangen rot.
Der Junge lebt in großer Not.
Er schrie sich schon die Lunge wund.
Der Hunger brennt im Kindermund.

Trocken Brot macht Wangen rot.
Doch jeder sitzt im eigenen Boot.
Ich zeig dir jetzt, was Wohlstand ist,
in einem Land, das seine Brut vergisst.

Sandmann, Sandmann, 
mach die Lichter aus...

Sandmann, Sandmann,
komm zu mir nach Haus.
Streu mir Sand in meine Augen
und weck mich nie wieder auf.


Und hier geht´s zum Video dazu: http://www.myvideo.de/watch/5792767/Oomph_Sandmann


Donnerstag, 16. August 2012

Gesucht: Menschen, die bis 80 arbeiten wollen!

Wolfgang Clement, unser "Mr. Leih- und Zeitarbeit", hat sich mal wieder zu Wort gemeldet und zwar bei "welt online":  http://www.welt.de/politik/deutschland/article108632743/Gabriels-Ruf-nach-Steuererhoehungen-ist-falsch.html

Neben u.a. der üblichen Selbstbeweihräucherung bezogen auf die sog. Arbeitsmarktreformen sowie deren  - in seinen Augen - großartige Erfolge, der erneuten Prophezeiung von Vollbeschäftigung, einem Lob für den Kanzlerinnenkurs in der Eurokrise und einem weiteren Lob für Philip Rösler als "marktorientierten Wirtschaftsminister", der Ablehnung eines gesetzlichen Mindestlohnes sowie Erneuerung der Propaganda vom demografischen Wandel stellt der ehemalige "Superminister" dort folgende Behauptung auf:
Ein Drittel der Menschen zwischen 65 und 80 Jahren wollen länger arbeiten! Nun frage ich mich: Woher nimmt Wolfgang Clement diese Weisheit? Hat er sämtliche Menschen in dieser Altersgruppe hierzulande persönlich befragt? Oder nur einen "repräsentativen Querschnitt" daraus? Und falls ja, aus welchen Berufsgruppen kommen diese Befragten?

Mir persönlich ist jedenfalls noch kein einziger älterer Arbeitnehmer so ab Mitte 50 aufwärts begegnet, der freiwillig länger als unbedingt nötig weiter zur Arbeit gehen wollte. Ganz im Gegenteil: Ausnahmslos jeder dieser Menschen aus meinem Umfeld, ob nun Handwerker, Büromensch oder anderweitig beschäftigt, hat ab einem gewissen Alter äußerst gewissenhaft die paar Jahre, Monate, Wochen und Tage gezählt, bis er endlich "in Rente" gehen konnte. "Mensch, was bin ich erst froh, wenn ich endlich da raus bin" konnte ich stets aus dieser Richtung vernehmen. Ein "Ich will aber noch nicht" habe ich hingegen nicht ein einziges Mal gehört. Und wenn der letzte Arbeitstag unmittelbar vor der Türe stand hat - bislang jedenfalls - auch nicht ein einziger gesagt "Schade eigentlich, ich hätte ja soooo gern noch ein paar Jahre länger gemacht". Stattdessen kam da immer nur ein erleichtert dahin gesäuseltes "GottseiDank!".

Falls es denn irgendwo da draußen ältere ArbeitnehmerInnen geben sollte, die zufällig diese Zeilen hier lesen und bereit sind, auf freiwilliger Basis bis zum 80.Lebensjahr durchzuarbeiten, so mögen diese sich bitte im Kommentarbereich etwas weiter unten melden. Es könnte schließlich durchaus sein, dass es in meinem Umfeld nur "faule Säcke" gibt, die zudem auch noch die - zumindest nach Clement´scher Auffassung - falsche Lebenseinstellung haben.

Aber vielleicht ist es mit der Noch-Freiwilligkeit schon in absehbarer Zeit vorbei, denn der "Wirtschaftsweise" Wolfgang Franz mahnte bereits Anfang diesen Jahres die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 69 Jahre eindringlich an. Und auch das wäre mal wieder, wie gewohnt, gemäß der arbeitgeberseitigen Interessenverbände sowieso nur ein viel zu kleiner Schritt in die richtige Richtung. Nun denn, liebe ArbeitnehmerInnen der gehobeneren Altersklasse, dann mal alle Herztropfen frei und kräftig in die Hände gespuckt!


Mittwoch, 15. August 2012

Wenn Du reden könntest, alter Lindenbaum...Teil 2

Unsere Linde konnte nun sehen, wie sich geschwind ein Haus neben das andere an die Hänge diesseits und jenseits der Innerste reihte und ebenso, wie ihr Ufer aufgeschüttet wurde, um auch direkt am Fluss entlang Behausungen entstehen lassen zu können. Immer wieder werden Neuankömmlinge samt Hand- oder Eselskarren, worauf sie ihre spärliche Habe aus ihrer alten Heimat mitbrachten, an ihr vorbei gezogen sein. Aber auch zahlreiche Abwanderer, denen die Plackerei in den Bergwerken dann wohl doch zu mühselig gewesen ist und die daraufhin den Rückweg zu ihren Herkunftsorten antraten oder die in eine andere der gerade im Entstehen begriffenen Nachbarsiedlungen weiterzogen, werden an ihr vorbei gekommen sein. Es herrschte in den Anfangsjahren nun mal ein reges Kommen und Gehen in all diesen Orten.

Es blieben aber trotzdem noch genügend Menschen hier "hängen" und so konnte schon 1534 das erste Stadtoberhaupt gewählt werden. Du, alter Lindenbaum, könntest uns mit Sicherheit verraten, wieso dieser Veit Bauer (in jenen Tagen auch Paur geschrieben) von seinen Mitbürgern den Beinamen "Scheußlich" erhielt. Er soll jedenfalls ein sehr ernster Mensch gewesen sein, der sich einer recht barschen Ausdrucksweise bediente und vor dem jedermann regelrecht Angst gehabt haben soll. Nun ja, auch er ist aller Voraussicht nach einer derjenigen gewesen, den vor allem die Aussicht auf Schutz vor Strafverfolgung hierher verschlug, denn es deutet vieles darauf hin, dass es sich bei ihm um jenen Veit Bauer (oder auch Paur) handeln könnte, der als Angehöriger des "Armen Konrad" im Jahr 1514 in Württemberg in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war.http://de.wikipedia.org/wiki/Armer_Konrad

Direkt hinter dir wird man als eines der ersten Gebäude eine Schänke errichtet haben. So wird wohl manch durstiger Einwohner schwankend an Dir vorbei gewankt sein, nachdem er seinen Durst mehr als gestillt hatte. Und bestimmt wurde an Dir auch der eine oder andere in einen Schacht gestürzte oder von herabfallendem Gestein erschlagene Bergknappe mit zerschmettertem Leib vorbei getragen.
 
Der Oberharzer Bergbau um 1606

Der Herzog höchstselbst ließ sich natürlich hin und wieder unangemeldet hier blicken, um sich persönlich vom blühen und gedeihen "seiner" Bergwerke sowie der Ansiedlungen drumherum zu überzeugen. Vielleicht   ist der Berghauptmann Jacob Reichardt auf seiner Flucht vor dem herzoglichen Jähzorn ja auch an der Linde vorbei gespurtet, nachdem der "harte Hund" Heinrich  über ihn verärgert gewesen war und ihn auf der Hängebank der Grube "Neufang" mit seinem Dolch beinahe erstochen hätte, wenn nicht im letzten Augenblick des Herzogs Kämmerer dazwischen gegangen wäre.  Und vielleicht hast Du die in einem seltenen Anfall guter Laune vom Herzog - sogar lachend - gesprochenen Worte "Es empfangen uns die Kinder, so werden uns auch die Alten gern sehen", genau hören können. Denn es waren Kinder, die den Herzog bei einem dieser Überraschungsbesuche zuerst sahen und ihn mit den Worten "Seid willkommen, gnädiger Herr" entgegenliefen. Für dieses in den Augen der Erwachsenen unziemliche und "närrische" Verhalten ihrem Landesherrn gegenüber wurden die mit  "protokollarischen" Gepflogenheiten noch nicht so recht vertrauten Jungspunde von ihren Eltern umgehend gemaßregelt, aber an diesem Tag war Heinrich für seine sonstigen Verhältnisse anscheinend richtig gut drauf und so nahm er dieses "Fehlverhalten" des bergmännischen Nachwuchses ihm gegenüber gelassen hin.

Wegen der zahlreichen unterschiedlichen Charaktere und Temperamente, die auf so engem Raum aufeinanderprallten, kam es innerhalb der Einwohnerschaft immer wieder zu Auseinandersetzungen, die nicht selten tödlich endeten. Möglicherweise geschah es unmittelbar vor unserer Linde, als sich Veit Metzger und Meister Preuß nachts auf der Straße gegenseitig verwundeten. Vielleicht wurde Nickel Hinten genau vor der Linde von Bartel Seidel mit einem hiesigenorts als "Schärper" bezeichneten Bergmannsmesser niedergestochen. Vielleicht hatte der Lindenbaum auch das Haus von Hans Jugel in seinem Sichtfeld und sah, wie Bartel Obenauff erst dessen Fensterläden und Haustür mit einer Axt einschlug und am folgenden Tag Jugel selbst niederschlug. Oder stand das Haus des Bürgers Achtermann, vor dessen Tür der Bastian Ederle erstochen wurde, zufällig genau der Linde gegenüber? Wurde gar hier unmittelbar unter den Ästen und Zweigen dieser Linde ein gewisser Caspar Oder von Balzer Büttner ermordet? Auch Hans Fuchs und Jorg Gelfert könnten sich in unmittelbarer Umgebung der Linde gegenseitig mit ihren blanken Waffen verletzt haben. Und eventuell geschah es nicht weit vom Lindenbaum entfernt, dass die Ehefrau von Kunz Beinbrenner auf offener Straße von Curt Koeler derart heftig geschlagen wurde, dass sie wenig später an ihren dabei erlittenen Verletzungen stirbt. Unsere Linde könnte wohl noch viel mehr über weitere körperliche Auseinandersetzungen sowie Mord und Totschlag unter den Neusiedlern berichten. Es gäbe durchaus noch etliche weitere ähnliche Beispiele aus diesen "wilden Jahren", in denen die Ortschaft ihrem Namen wohl alle negative Ehre gemacht haben dürfte.

Wie in Teil 1 bereits kurz angerissen hing die überwiegende Mehrheit der Neuankömmlinge dem lutherischen Protestantismus an. Anfangs hielt sich der streng katholische Heinrich der Jüngere in den Glaubensangelegenheiten seiner neuen Oberharzer Untertanen zurück. Er war nun mal vor allem auf die über einschlägige bergbauliche Erfahrung mitbringenden erzgebirgischen Zuwanderer angewiesen. 1541 jedoch ließ er sich von seinem Beichtvater jedoch dazu überreden, den sowohl Wildemann als auch den kurz darauf gegründeten Nachbarort Zellerfeld betreuenden Pastor zu verjagen. Dies erboste die Einwohnerschaft jedoch in starkem Maße. Möglicherweise geschah es ja vor den Türen des inzwischen neben der Schänke hinter der Linde errichteten Rathauses, dass die Bergleute dem Herzog gegenüber drohten, wieder dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen sind, falls dieser ihnen auch weiterhin einen "Monnich oder papistischen Pfaffen" aufzuzwingen gedenke. Vielleicht hörte unsere Linde den Herzog daraufhin ja notgedrungen sagen "Von meinetwegen nehmet euch einen lutherischen Pfarrer oder zween. Ich aber werde dafür nichts hinzugeben!".

Die örtlichen Sitten waren in den Anfangsjahren eh recht locker, denn es heisst, dass viele Einwohner "in Hurerey und Schanden wider das sechste Gebot gelebet" hätten. Zunächst wurden die "Sünder" mit Kirchenstrafen belegt und als das anscheinend nicht viel nutzte wurden sog. Schandsteine gehauen, die Frauen, welche Sitte und Ordnung nicht achteten, in der Öffentlichkeit um den Hals tragen mussten, während die "unzüchtigen" Männer ins Gefängnis verbracht wurden.
Man kann sich also vorstellen, dass zumindest die ersten Pastoren ein schweres Amt antraten. Und da es zunächst noch keine Kirche gab wurden die Gottesdienste in und um die Schänke hinter unserer Linde abgehalten. Bei gutem Wetter predigte der Pastor vom Dachbodenfester der Schänke aus zur auf dem daneben liegenden kleinen Marktplatz stehenden Gemeinde, bei schlechtem Wetter wurden die Gottesdienste in das Wirtshaus selbst verlegt. Hierbei kam natürlich nichts gescheites raus, denn es wurde sich bei diesen "Schlechtwettergottesdiensten" während der Predigt lautstark unterhalten, "Branntewein gesoffen" und "gevierblettelt", also Karten gespielt. Unsere Linde dürfte bestimmt das eine oder andere Mal das laute Gepolter des Pastors wegen dieses ungebührlichen Verhaltens vor allem seiner männlichen Schäfchen aus der Kneipe heraus bis zu sich herüber schallen gehört haben.

Mit dem Bau der ersten Kirche wurde 1542 auf einem Plateau am schräg gegenüber unserer Linde liegenden Hangstück des heutigen Gallenberges oberhalb des Innerstetales begonnen. Baumeister war übrigens das seinerzeitige "Multitalent" Veit "Scheußlich" Bauer. Der Lindenbaum konnte den Fortgang der Arbeiten von seinem Standort aus wohl recht gut beobachten. Und auch die feierliche Einweihung des Gotteshauses am 23.Juli 1543, dem Maria-Magdalena-Tag, dürfte sie interessiert verfolgt haben. Den Namen "Maria Magdalena" trägt der heutige Kirchenbau übrigens noch immer.

Rund um die Kirche herum wurde auch ein "Gottesacker" angelegt. Die Linde wird sehr wohl mitbekommen haben, wie dieser sich recht schnell mit Gräbern füllte. Denn neben Unfällen in den Bergwerken und dem gewaltsamen austragen privater Fehden sorgten auch immer wieder Seuchen wie Fleckfieber sowie Überfälle "fremden Kriegsvolks" für reichlich Nachschub auf dem Gräberfeld.
Was der alte Lindenbaum so alles an kriegerischen Auseinandersetzungen miterlebte werden wir uns aber dann im dritten Teil genauer anschauen.


Montag, 13. August 2012

Wenn Du reden könntest , alter Lindenbaum...Teil 1

In meinem Heimatort steht eine Linde. Sie soll über 1.000 Jahre alt sein. Der Sage nach wurde sie im Jahr 1039 von einem "wilden Mann" an dieser Stelle in die Erde gestoßen:  http://www.hhbornemann.de/seite31.htm

 
Vermutlich ist diese Linde aber wohl doch nicht ganz so alt, wie es das an ihrem Stamm angebrachte Schild behauptet, sondern wurde möglicherweise von den ersten Bewohnern dieser kleinsten der 7  Oberharzer ehemals "Freien Bergstädte" gepflanzt. Doch ganz egal, ob sie nun 1.000 oder "nur" 500 Jahre auf ihrem Buckel bzw. Stamm, Ästen und Zweigen haben mag - wenn sie reden könnte, dann hätte sie uns mit Sicherheit so einiges zu erzählen. Sie würde uns vom Leben und vom Sterben, von Freud und von Leid, von "guten" und von "schlechten" Menschen, von menschlicher Harmonie und von Mord und Totschlag, von Tragik und von Komik, von Festlichkeiten und von Katastrophen, von Überfluss und von Hunger, von Frieden und von Krieg und vom Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang einer einst als "Schatzkammer des Reiches" bezeichneten zu einer abgehängten und inzwischen fast vergessenen Region berichten können. Trotz ihrer Abgeschiedenheit wurde diese Gegend samt ihren Bewohnern von manch regional- und weltgeschichtlichen Ereignissen nun mal nicht nur berührt, sondern auch unmittelbar voll ge- und betroffen. Sie hat nun mal viel gesehen und erlebt, diese alte Linde.


Es war Anfang bis Mitte der 1520-er-Jahre, als auf Geheiß des streitbaren und "ruppigen" Herzogs Heinrich II. des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (wegen seiner 10 Kinder, die er mit einer Hofdame hatte, seinerzeit hinter vorgehaltener Hand auch "der wilde Heinz" genannt) bergbaukundige Untertanen auch ins Tal der Innerste ausgesandt wurden. Diese sollten nach Spuren aus der ersten größeren Bergbauperiode von Beginn des 13. bis Mitte des 14. Jahrhunderts suchen, in der Bergknappen im Auftrag von Klöstern, aber auch auf eigene Rechnung, im Oberharz nach Silber-, Kupfer-, Zink- und Bleierzen gruben. Um 1348/49 herum endete dieser erste "organisierte" Bergbau jedoch durch die europaweit wütende Pestepidemie, die selbst diesen entlegenen und damals noch äußerst schwer zugänglichen Winkel erreichte, sowie durch den durch massive Abholzung der Wälder entstandenen Holzmangel. Richtige Ortschaften wurden im Oberharz um diese Zeit allerdings noch nicht angelegt. Diese frühen Bergbau und Waldwirtschaft betreibenden Zeitgenossen lebten in einfachen Holzhütten nahe bei ihren Arbeitsstätten, von denen natürlich fast 200 Jahre später keinerlei Spuren mehr vorhanden waren. So mussten die herzoglichen Erkunder nach mittlerweile überwucherten Stolleneingängen und anderen Hinweisen wie z.B. Abraumhalden suchen, die der in ihrer Zeit so genannte "Alte Mann" hinterlassen hatte. 
Wenn nun in der Landschaft solche Hinterlassenschaften gefunden wurden überprüften diese Fachleute, ob eine Wiederinbetriebnahme der jeweiligen alten Grubenbaue bzw. die Anlage neuer Schächte und Stollen in deren Umgebung lohnenswert sei und meldeten bei positiver Einschätzung das Ergebnis dem Herzog. Der "eisenharte" Heinrich brauchte nun mal immer mehr Kapital für seine arg gebeutelte Kriegskasse, denn er lag schließlich fast mit jedem seiner benachbarten adligen "Kollegen" in Streit. Und als in der näheren und weiteren Umgebung der Stelle, wo noch heute der alte Lindenbaum steht, ebenfalls Spuren des "Alten Mannes" gefunden wurden und die Expertenmeinung hinsichtlich einer Wiederaufnahme der alten Gruben positiv ausfiel erfolgte umgehend das herzogliche O.K. hierfür.

Herzog Heinrich II. der Jüngere

Zunächst dürften es wohl ausschließlich Bewohner seines Herzogtums gewesen sein, die in den alten, aber auch in neu angelegten Grubenbauen mit dem Abbau der jeweiligen Erze begannen. Da der Bergsegen jedoch mehr als reichlich ausfiel begann Heinrich nun neben weiteren erfahrenen Bergleuten auch noch andere Fachkräfte wie der Waldwirtschaft kundige und Handwerker aus entfernteren Gegenden des damaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in den noch immer wilden und von einem rauen Klima geprägten Oberharz zu locken. Schließlich benötigten die Bergleute immer wieder aufs Neue Werkzeuge wie Schlägel und Eisen sowie Kratze und Trog, Holz für die Stollen- und Schachtverkleidungen, für die "Fahrten" (Leitern) sowie für Richtschächte, Gaipel, für die Wasserräder in den Schächten zur direkten Förderung der Erze ans Tageslicht und hierfür natürlich wiederum Fördereimer. Sie brauchten Nagel- und Hufschmiede, Seiler, Gerber und auch jemanden, der sowohl ihre Arbeits- als auch "Zivil"kleidung flickte oder ggf. neue Kleider für sie anfertigte. 

Also ließ Herzog Heinrich verkünden, dass für ausnahmslos alle, die sich in seinen Bergwerken und drum herum betätigen und hier ansiedeln würden, ganz besondere Vergünstigungen gewährt würden: Recht auf freien Zuzug und Abzug, Religionsfreiheit, Steuerfreiheit, kostenloses Schlagen von Bau-, Brenn- und Schachtholz, freier Handel und freie Abhaltung von Märkten, eigene Gerichtsbarkeit, Schutz vor Strafverfolgung für in anderen Teilen des Reiches begangene (Un)Taten, Recht auf eigenes Bierbrauen, Wahl von Stadtrichter (heute Bürgermeister) und Rat durch die Bürger selbst,  Recht auf freies anlegen von Wiesen und Gärten sowie Befreiung von sämtlichen Hof- und Frondiensten. Diese besonderen Vergünstigungen wurden nach dem entstehen der ersten "richtigen" Ansiedlungen schriftlich in einer sog. Bergfreiheit quasi gesetzlich festgeschrieben. Und da diesen Ansiedlungen trotz ihrer geringen Größe auch noch die Stadtrechte verliehen wurden darf es niemanden verwundern, dass auch heute noch ein Ort mit gerade mal noch ein wenig über 1.000 Einwohnern den Titel "Stadt" innehat.

Insbesondere im Erzgebirge wurden besagte umfangreichen Vergünstigungen und Sonderrechte wohlwollend vernommen und so machten sich viele der bislang dort ansässigen, vorwiegend dem neuen "lutherischen" Glauben anhängende, Bergleute auf den damals noch recht beschwerlichen Weg in jenen dem streng katholischen Herzog gehörigen Teil des Oberharzes. Manche davon kamen allein, manche brachten aber auch ihre Familien mit. Aber auch aus anderen Reichsteilen zog es Menschen hierher, sogar aus dem fernen Tirol. Für damalige Verhältnisse war das sozusagen ein echtes Multikulti, vor allem wegen der unterschiedlichsten Dialekte, die hier aufeinander prallten. Naja, und das sich nicht zuletzt begünstigt durch die Sache mit dem Schutz vor Strafverfolgung auch der eine oder andere etwas zwielichtigere Zeitgenosse Charakter unter die ersten Neusiedler mischte dürfte wohl nicht weiter verwundern. 

Im Jahr 1529 hatte es genug Neuankömmlinge aus den benötigten Berufsgruppen nebst Familienangehörigen auch in das Tal der Innerste verschlagen, sodass hier nun eine feste Ansiedlung entstehen konnte. Vermutlich waren die ersten Häuschen noch eher primitive Holzhütten, aber da man die damalige Situation durchaus mit der in den "Boomtowns" während des kalifornischen Goldrauschs 1848/49 vergleichen kann, sind auch hier im Handumdrehen festere Bauten -  zumeist wohl im Fachwerkstil - errichtet worden. Die in der Überzahl befindlichen Erzgebirgler brachten übrigens neben ihrem Dialekt auch einige Grubennamen aus ihrer alten Heimat mit und so wurden viele der wiederaufgenommen oder neu angelegten Bergwerke mit diesen altvertrauten Namen belegt. Eine der ersten Gruben erhielt von ihnen den Namen "Alter Deutscher Wilder Mann" und aus diesem Grubennamen entstand der bis heute gültige Ortsname "Wildemann" für die Ansiedlung entlang der Innerste. So denn unser alter Lindenbaum doch noch nicht an seinem Platz gestanden haben sollte, so dürfte er aber wohl genau zu dieser Zeit von irgendeinem der Erstbewohner der neuen Ortschaft an dieser Stelle gepflanzt worden sein. 

Soviel zu den allgemeinen Umständen und dem Umfeld, in dem die gute alte Linde wuchs und gedieh. Im nächsten Teil werden wir uns dann mal etwas genauer betrachten, was und wen sie so alles gesehen haben mag. Es dürfte im Laufe der wildbewegten Jahrhunderte auf alle Fälle immer wieder sehr aufregend und spannend für sie gewesen sein. Aber das werden wir dann ja nach dem nächsten Teil selbst beurteilen können.


Samstag, 11. August 2012

Depressionen - eine Ergänzung aus Betroffenensicht

Als Ergänzung zu den Diskussionsbeiträgen rund um den Beitrag über die Selbsttötung der Schauspielerin Silvia Seidel hier Auszüge einer privaten E-Mail, die ich von einem vor mehreren Jahren selbst an Depressionen erkrankten Menschen erhalten habe. Nach Einholung der entsprechenden Genehmigung darf ich diese Zeilen, die vor allem für bislang noch nicht allzu sehr mit dem Thema "Depressionen" vertraute Menschen und somit natürlich auch für mich sehr aufschlussreich sein dürften und die auch die eine oder andere kritische Anmerkung zu meinem Beitrag enthalten, hier veröffentlichen:

(...) Dazu möchte ich anmerken, dass ich 1995 einen Selbsttötungsversuch unternommen hatte. Wie erwähnt hatte ich Depressionen und das ist eine der schlimmsten und fiesesten Krankheiten. Sagen auch viele Experten und Betroffene und Angehörige. Wie es wirklich ist, wie es sich anfühlt und wie die Welt sich einem in der Krankheit darstellt, fällt mir auch schwer zu beschreiben. Letzte Woche gab es eine Meldung in der Fachpresse, dass festgestellt wurde, dass man, wenn die Depression weggeht, sogar objektiv messbar anders sieht. Also tatsächlich die Wahrnehmung der visuellen Informationen anders ist. Hauptsächlich geht es wohl um die bessere Wahrnehmung von Konturen, die wieder schwarz und weiß zeigen und nicht mehr verschwommenes grau. Das kann ich nur bestätigen. Als ich 2002 endlich die richtigen Medikamente bekam, die ich in geringer Dosis immer noch nehme, ging es mir Tag für Tag besser. Die Weltsicht änderte sich. Die Wiesen und Bäume waren plötzlich viel grüner, der Himmel blauer. Ich kann Dir nicht wirklich beschreiben, was das für ein Glücksgefühl bei mir auslöste. Ich habe oft vor Freude geweint. Ich hatte Freunde, sehr liebe Freunde, eine ganz liebe Familie, ich habe während der Depression das Studium durchgezogen. Dort allerdings die falschen Tabletten bekommen, die mich zwar ein bisschen stabilisierten, aber die unangenehme Nebenwirkung hatten, dass sie zu sehr dämpften. Ich habe teilweise 12-16 Stunden geschlafen. Hat mich im Nachhinein geärgert, dass mein Psychiater damals so ein feiger Typ war und Trizyklische ADs gab, weil er sich an die viel wirksameren und neueren SSRIs nicht rantraute. Erst 2002, als ich wieder unbemerkt, weil es so schleichend geht, in ein tiefes Loch gefallen war, hat mir mein Hausarzt SSRIs verschrieben. Erst danach hatte ich auch die Chance mich selber wieder weiter zu entwickeln. Gefühle wurden wieder erlebbar und ich konnte lernen damit umzugehen. Mit den alten ADs war ich relativ abgestumpft. Achja, und es war natürlich immer wichtig jemand zu haben. Ich erinnere mich, dass ich Tage hatte, wo ich den ganzen Tag in meinem Zimmer verbrachte, die Vorhänge zugezogen und mir alle möglichen schlimmen Gedanken gemacht habe. Abends ging ich dann zu meinen Eltern abend essen. Die regten mich zwar meist auf, mit ihren „Alltagsproblemen“ und ihrer „unkritischen oder positiven“ Weltsicht, aber ich war wenigstens ein bisschen abgelenkt von meinen Gedanken. Hatte zwar oft meine Gedanken mitgeteilt, aber nie das Gefühl, wirklich verstanden zu werden. Ich verstand es ja selbst nicht. Eines ist mir aber 100% klar: Ohne Antidepressiva gäbe es mich heute nicht mehr! Die zweite Tiefphase 2002 hätte ich nicht überlebt. Ich hatte schon überlegt, nach Spanien oder Russland zu fahren, damit meine Eltern es nicht noch einmal hautnah miterleben müssen. Ich war auch beim Psychotherapeuten – und da beim besten in der ganzen Region! Der hat mir zwar viel geholfen, aber so richtig möglich wurde es erst durch die richtigen Medikamente. Mit den Medis war die Verhaltenstherapie ein wahrer Segen. Ich kann nur positiv darüber berichten. Psychotherapie bei einem kompetenten Psychologen? Nicht zu schlagen. Was sich da alles verändern kann, wenn man bereit dazu ist! Irre! Geht bei den meisten psychischen Störungen auch nicht ohne...

Und aus dieser Tatsache heraus möchte ich zwei Bemerkungen machen. Erstens ist es zwar ganz lieb gemeint von Menschen, dass sie einen aufheitern wollen und es ist bestimmt nicht so, dass es schadet. ABER, so richtig toll ist es für Betroffene gar nicht. Man merkt es, dass die Menschen nett sind. Dass sie Mitleid haben. Dass sie helfen wollen. Bei mir war es so, dass mich das noch betrübter gemacht hat. Ich wollte nicht, dass sich jemand wegen mir Sorgen macht. Ich fand gar nicht, dass ich das Recht hatte zu leben, umso schrecklicher, dass ich damit auch noch andere Menschen belaste bzw. zur Last falle. Es tat mir auch leid, dass ich den Menschen nicht zeigen konnte, dass ich mich freue über ihre Anteilnahme. Es ging einfach nicht und es wurde immer belastender. Zweitens bin ich etwas traurig, dass Du das Ganze als Aufhänger für eine Gesellschaftskritik hernimmst. Der Gesellschaft mach ich z.B. gar keinen Vorwurf. Ich war krank, nicht die Gesellschaft. OK? Silvia Seidel hat, wie ich gelesen habe, zu ihrer Stammwirtin gesagt, dass die Trennung von ihrem Freund/Mann für sie jetzt den letzten Grund zum Leben genommen hat. Ihre Mutter hatte sich 1992 auch das Leben genommen. Sie fühlte sich ganz allein auf der Welt und sah keinen Grund mehr alles auf sich zu nehmen. Und die Theatertourneen und Vorabendserien waren für sie bestimmt eine ganz große Anstrengung und Qual. In der Depression ist alles anstrengend. Hat der Freund/Mann nun „Schuld“? Nein, hat er nicht. Er hat auch nur ein Leben und konnte nicht mehr mit ihr leben. Hat die Unterhaltungsbranche Schuld? Nein, es wäre ihr in jeder anderen Branche vermutlich ähnlich ergangen. Hat „die Gesellschaft“ Schuld? Auf gar keinen Fall! Es ist eine Krankheit und eine der schlimmsten, dass kann ich Dir sagen. Haben die Nachbarn Schuld? Nein, auf gar keinen Fall. Es wäre ihr bestimmt unangenehm gewesen, wenn die sich um sie gesorgt hätten. Sie hätte sie bestimmt sogar von sich gewiesen / gestossen. Jede Depression ist anders. Deshalb wage ich auch nicht zu behaupten, dass die richtigen Medikamente bei ihr auch geholfen hätten, vielleicht ja, vielleicht nein. (...)

(...) Es wäre mir ein persönliches Anliegen, dass Menschen ein bisschen mehr Einblick in diese schreckliche Krankheit bekommen. Es haben immerhin ein paar Millionen Menschen in Deutschland Depressionen. In unterschiedlichen Ausprägungen, in unterschiedlichen Stadien, in unterschiedlichem Behandlungsgrad. Gerade als Angehörige tut man sich sehr schwer. Man möchte helfen, weiß aber nicht wie. Ich weiß es auch nicht. Außer „da sein“ fällt mir nichts Konkretes ein. Auch gegen den „Widerstand“ des Betroffenen immer wieder möglichst „normal“ mit demjenigen umgehen, auch zu Aktivitäten animieren, die er/sie (eigentlich) gerne macht. Das ist eine schwierige Aufgabe, da ja das Feedback meist nicht sehr positiv ist. Aber es ist trotzdem wichtig. Insofern stimme ich Dir zu, dass man sich um andere kümmern sollte.

Allerdings möchte ich aus meiner Erfahrung heraus auch erwähnen, dass auf der ganz individuellen Ebene – alles immer aus meiner Sicht, ja? – es das beste ist, sich um sich selbst zu kümmern. Schauen, dass man selbst klar kommt, dass es einem gut geht, schauen, wo man sich selber etwas günstiger verhält, damit man weniger verletzlich ist, dass man sich selbst eine gute Behandlung gönnt. Sich selbst mögen. Dann kann man sich selbst auch annehmen. Ich mag mich auch nicht immer. Aber im Großen und Ganzen mittlerweile schon. Ich achte darauf, was mein Körper mir sagt. Dadurch kann ich die meisten Wehwechen und Krankheiten bestimmt schon präventiv abwehren. Und ich achte darauf, was mein „Bauch“ sagt. Denn wenn ich das nicht tue, kriege ich ja tatsächlich Bauchschmerzen. Ich somatisiere meine psychische Befindlichkeit über den Verdauungsapparat. Klingt komisch, ist aber so. Andere somatisieren über andere Körperorgane, ich eben über die Verdauung. Das hört sich jetzt alles egoistisch an, ist es aber nicht. Denn nur wenn ich einigermaßen mit mir im Reinen bin, kann ich mich öffnen für andere. Dann kann ich mich auch wieder verletzlich machen. (...)

Freitag, 10. August 2012

Die ehrlichste Expertenrunde aller Zeiten

Eine fiktive Fernsehsendung auf irgendeinem Kanal:
(Kurzer schlichter Vorspann mit dezenter Musikuntermalung)

Moderator: "Herzlich willkommen bei `Wir fragen - Experten antworten´ auf Hp-TV. In dieser Sendung sollen uns führende Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten Antworten auf uns alle brennend interessierende Fragen geben. Ich begrüße hierzu im Studio Dr. Dr. Krämer, Professor für Wirtschaft an der Hoch- und Tiefschule für Wirtschaft in Bad Meingarten, Dr. Gräber, Professor für Archäologie und Geschichte an der Universität Piepenbüttel, Dr. Selig, Professor für Theologie an der Universität Wolkenkuckucksheim, Prof. Dr. Blicker, Chefastronom an der Sternwarte Klein-Düdelitz sowie Prof. Dr. Grübel, freischaffender Philosoph aus und in Nuschelsdorf.
Fangen wir nun aber am besten gleich an mit der ersten Frage:
Dr. Dr. Krämer, ist der Euro und somit Europa überhaupt noch zu retten und wenn ja - wie?"

Dr. Dr. Krämer: "Das kann ich Ihnen beim besten Willen auch nicht sagen. Diese ganze Angelegenheit ist mittlerweile sowas von komplex bzw. undurchschaubar geworden, da blicken selbst wir studierte Ökonomen schon lange nicht mehr durch. Wie es derzeit aussieht scheint es jedenfalls dahingehend keinen Königsweg zu geben. Ganz egal, wie was wann gemacht wird - es nutzt wohl, wenn überhaupt, allenfalls nur relativ kurzfristig und auch das nur - im Verhältnis zur gesamteuropäischen Bevölkerungsmehrheit - einigen Wenigen. Meine Antwort auf Ihre Frage kann somit kurz zusammengefasst nur lauten: Ich weiß es nicht!"

Moderator: "Danke, Prof. Krämer. Herr Dr. Gräber, gab es in grauer Vorzeit, also noch vor den Sumerern oder alten Ägyptern, eine noch frühere und durch z.B. eine globale Katastrophe untergegangene Hochkultur, die möglicherweise über neuzeitliche Kenntnisse wie z.B. die Nutzung von Elektrizität verfügte, welche dann im Laufe der Jahrtausende wieder verloren gegangen sind?"

Dr. Gräber: Nun, diese Frage lässt sich leider nicht beantworten. Bislang jedenfalls wurden noch keine entsprechenden, diese Kenntnisse eindeutig bestätigenden Funde gemacht. Aber gänzlich ausschließen möchte ich deswegen so eine frühe, über mehr oder weniger moderne Technologiekenntnisse verfügende Hochkultur wiederum auch nicht. Wir können nun mal nicht in diese Zeiten zurückreisen und somit antworte ich Ihnen mit den Worten Dr. Krämers: Ich weiß es nicht!"

Moderator: "Dankeschön, Prof. Gräber. Dr. Selig, gibt es eine höhere Macht, man mag sie Gott, Allah, Allmächtiger, Großer Geist oder wie auch immer, nennen?"

Dr. Selig: "Nun, das ist eine Frage, die ich Ihnen so auch nicht beantworten kann. Diese Frage ist eben eine rein persönliche Glaubensfrage jedes einzelnen Menschen. Die endgültige und richtige Antwort darauf werden wir vermutlich erst nach unserem Ableben erhalten."

Moderator: "Apropos Ableben - gibt es ein Leben nach dem Tod?"

Dr. Selig: "Auch die Antwort auf diese Frage entzieht sich meinem derzeitigen Wissens- sowie Kenntnisstand. Es gibt Anzeichen dafür, dass es so etwas geben könnte - Stichwort Nahtoderfahrungen - , andererseits aber auch Anzeichen, die aus rein rationalen Denkmustern heraus betrachtet dagegen sprechen. Vielleicht geht es nach unserem biologischen Tod irgendwie irgendwo weiter mit einem nichtstofflichen Teil von uns, vielleicht gaukelt uns unser Gehirn bei diesen Nahtoderfahrungen aber auch nur etwas vor, weil wir uns ein Weiterleben in einer anderen und vermeintlich `besseren´ Welt so sehr wünschen. Ich kann mich von daher meinen beiden Vorrednern nur anschließen und sagen: Ich weiß es nicht!"

Moderator: "Vielen Dank, Herr Dr. Selig. Prof. Dr. Blicker, gibt es außer uns noch andere intelligente Lebensformen irgendwo dort draußen im wahrscheinlich unendlichen Weltall?"

Dr. Blicker: "Tja, einerseits ist die rein mathematische Wahrscheinlichkeit allein aufgrund der unzähligen Sonnen- und Planetensysteme außerhalb unserer Heimatgalaxie recht groß, dass es irgendwo noch die eine oder andere intelligente Lebensform geben könnte. Andererseits wurden bislang noch keinerlei Anzeichen entdeckt, die intelligentes Leben außerhalb des Planeten Erde zweifelsfrei bestätigen könnten. Es könnte sein, könnte aber auch nicht sein. Von daher auch von mir ein eindeutiges `Ich weiß es nicht´. Das bezieht sich übrigens auch auf die von Ihnen nicht gestellte Frage, ob die Menschheit tatsächlich so intelligent ist, wie sie es selbst vermeint zu sein.

Moderator: "Herzlichen Dank, Dr. Blicker. Nun noch zu Prof. Dr. Grübel: Herr Dr. Grübel, Gibt es einen Sinn des Lebens und wenn ja, welches wäre Ihrer Meinung nach dieser Sinn?"

Dr. Grübel: "Nun ja...ähm...also ehrlich gesagt kann ich Ihnen dazu auch nicht viel sagen. Die Suche nach dem Sinn des menschlichen Lebens dürfte wohl eine eher individuelle Angelegenheit sein. Nur muss man dabei aufpassen, dass man nicht solche Sachen wie...äh...äh... Lebenszweck und Lebensinhalt mit dem Lebenssinn gleichstellt. Aber ob es einen für alle Menschen einheitlichen Lebenssinn gibt...äh...also das entzieht sich meiner Kenntnis. Möglicherweise sind es viele kleine einzelne Bausteine, die sich im Laufe des menschlichen Lebens durch die verschiedenen Lebensphasen hindurch zum Lebensende hin...äh...äh... nach und nach zu einem kompletten Bauwerk namens Lebenssinn zusammensetzen. Um meinen...äh... geschätzten Kollegen Dr. Selig zu zitieren: Die endgültige Antwort darauf werden wir wohl erst nach Beendigung unseres irdischen Daseins erhalten - oder aber auch nicht. Folglich kann ich Ihnen auch nur auf ihre..äh...äh... zwei Fragen eine einzige Antwort geben: Ich weiß es nicht."

Moderator: "Nun noch eine allgemeine Frage an alle hier in der Runde: Wie ist es bei Ihnen mit Ihrer persönlichen Meinung, Überzeugung oder Erkenntnis? Ist diese immer mit der jeweils in Ihrem Fachbereich herrschenden und somit allein gültigen Lehrmeinung deckungsgleich oder weicht diese zumindest gelegentlich auch mal von dieser ab?"

Dr. Dr. Krämer: "Ich glaube, ich spreche im Namen aller hier anwesenden Kollegen, wenn ich sage: Natürlich haben wir in der einen oder anderen Sach- und Fachfrage auch mal eine persönliche Sichtweise, die nicht immer mit der gängigen Lehrmeinung einhergeht. Wir werden uns jedoch sowohl aus diversen beruflichen als auch aus persönlichen Gründen strengstens davor hüten, diese abweichenden Sichtweisen öffentlich kundzutun." (zustimmendes stilles Kopfnicken bei allen Experten).

Moderator: "Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre ehrlichen Antworten im Namen aller Zuschauer recht herzlich! Aufgrund der durch diese Ihre Ehrlichkeit bedingte Kürze Ihrer Ausführungen haben wir wertvolle Sendezeit gespart, die wir nun für die Ausstrahlung sinnvollerer Beiträge als wie z.B. Expertenrunden nutzen können. Nochmals meinen herzlichsten Dank an alle hier in der Runde und an Sie, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, für Ihr Interesse. Guten Abend."

(Noch kürzerer Abspann, wieder mit dezenter Musik unterlegt)


Donnerstag, 9. August 2012

Der Fall Silvia Seidel - ein treffsicheres Spiegelbild unserer Gesellschaft

Der tragische Tod der Schauspielerin Silvia Seidel sowie dessen Vorgeschichte sind ein Paradebeispiel für unsere derzeitige gesellschaftliche Verfassung: Ein Mensch ist aufgrund seines Wesens verzweifelt, einsam, innerlich gebrochen und von daher nicht mehr, wie von den uns führenden Kreisen immer lautstark eingefordert, "leistungsfähig" genug. Irgendwann sieht dieser Mensch keinen anderen Ausweg aus dieser Situation, als freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Nach so einem für alle "unerwarteten, plötzlichen und überraschenden" Freitod melden sich dann zahlreiche ehemalige berufliche "Weggefährten" und "Freunde" zu Wort, um über die Medien öffentlichkeitswirksam ihre "tiefe Betroffenheit", "Erschütterung" und ihr "schockiert sein" zu bekunden. Simple Frage: Und wo waren all diese "Freunde" vorher?

Einen sehr bezeichnenden Kommentar gab Justus Pfaue, der Autor der TV-Serie "Anna", mit der die 42-jährige 1987 bekannt wurde, hierzu ab (Quelle: t-online):  "`Anna´-Autor Justus Pfaue erinnert sich an seine Hauptdarstellerin Silvia Seidel als einen Menschen, der weder am Filmset noch im Leben je Ellenbogen eingesetzt hat. (...) Seidel sei liebenswert, filigran und nie arrogant gewesen. `Um in diesem Beruf aber über Jahre erfolgreich zu sein, muss man auch seine Ellbogen einsetzen können. Und das wollte oder konnte Silvia nicht. (...) Jemand hätte sie in den letzten Jahren anrufen sollen. Jemand hätte sie fragen sollen, wie es ihr geht. Jemand hätte ihr Hilfe anbieten sollen. (...) Dafür schäme ich mich heute: Dieser Jemand hätte ich sein können.´"

Diese Sätze spiegeln hervorragend unsere derzeitig gültigen gesellschaftlichen Denk- und Verhaltensmuster wider: Jeder ist sich selbst der Nächste und seines Glückes Schmied! Absolute und uneingeschränkte Eigenverantwortung übernehmen! Pack deine Ellenbogen aus und hau rücksichtslos jeden aus dem Weg, der dein berufliches Vorankommen behindern könnte! Nur wer nach allen Seiten hin um sich treten kann ist stark und nur die Starken kommen weiter! Wer das nicht kann ist schwach und wer schwach ist muss eben zusehen, wo er bleibt! Geh auf den Ego-Trip - wenn jeder nur an sich denkt, dann ist an alle gedacht! usw.

Tja, und wenn jemand zu "schwach" ist, weil er oder sie vielleicht keine Kämpfernatur ist, weil er oder sie zu "lieb", zu "gut" oder zu sensibel gebaut für unsere heutige Zeit ist, dann hat dieser Jemand nun mal Pech gehabt. In einer Leistungsgesellschaft muss halt jeder selbst zusehen, wo er bleibt. Wer da auf Hilfe von anderen Menschen bzw. seinen vermeintlichen Freunden hofft hat schon verloren. "Wie? Du hast moralische Skrupel und möchtest anderen nicht schaden bei deinem Vorwärtskommen im Leben? Bist wohl auch so ein bekloppter Gutmensch? Ene, mene, muh und raus bist du, ätsch!". 
Aber wenn so ein "Schwächling" eines Tages keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich freiwillig aus seinem ihm unerträglich erscheinend gewordenen Leben zu verabschieden, dann geht die große Betroffenheitsleier los: "Das habe ich nicht gewusst", "Wenn ich geahnt hätte, wie schlimm es wirklich um sie/ihn steht, ja dann...", "Hätte ich doch bloß auch mal..." usw. Jaja, das gute alte "Hätte" mal wieder. Ein "Hätte" nutzt niemandem mehr etwas, denn wenn das Wörtchen "Hätte" benutzt wird, dann 
ist es bekanntlich eh zu spät. Es verhält sich mit diesem "Hätte" nicht anders als wie mit dem Schlusssatz eines etwas älteren Sinnspruch-Gedichts, wie man sie zu meiner Jugendzeit noch an vielen Hausflurwänden - auf eine hölzerne Unterlage geschrieben - vorfinden konnte: "Ein paar Blumen während des Lebens, denn auf Gräbern sind sie vergebens". 
Nach einer kurzen Weile verfliegt diese ganze Betroffenheit und Erschütterung jedoch wieder recht schnell, denn schließlich muss man sich doch jetzt wieder um sich selbst und das eigene Vorankommen kümmern. Alles halt typische Begleiterscheinungen der uns seit Jahren unermüdlich als erstrebenswert und einzig wahre Lebensweise gepredigten Individualisierung, Egomanie und Entsolidarisierung halt. Es muss eben immer erst "was passieren", bis mal jemand überhaupt etwas bemerkt. Aber leider bleibt es meist nur bei einem relativ kurzzeitigem bemerken und es wird danach schnellstmöglich zur gewohnten Tagesordnung übergegangen.

Bei uns "kleinen Leuten" sieht es aber auch nicht anders aus als wie in der Welt der Prominenz und derer, die sich dafür halten. Interessieren wir uns z.B. noch für andere Menschen aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft? "Wieso eigentlich habe ich die alte Frau Meier schon wochenlang nicht mehr gesehen? Sonst ist sie mir doch fast jeden Tag im Hausflur über den Weg gelaufen. Und ihren Briefkasten hat sie anscheinend seit geraumer Zeit auch nicht mehr geleert, so wie der überquillt. Hm, irgendwie riecht das hier auf´m Flur immer noch so merkwürdig. Das müffelt ja schon eine ganze Weile so. Naja, was gehen mich andere Leute an? Wird schon alles seine Richtigkeit haben. Habe außerdem schon mehr als genug damit zu tun, mich um mich selbst zu kümmern."
Oder aber: Fällt uns eigentlich auf, dass der sonst so fröhliche Herr Schulz seit einiger Zeit so "komisch" geworden ist? Das er bei der täglichen Begegnung im Treppenhaus oder vor der Haustür keine flotten Sprüche mehr loslässt, sondern nur noch knapp mürrisch grüßend, aber sonst wortlos mit sauertöpfischer Miene an uns vorbei läuft? Und selbst wenn wir dies bemerken würden - würden wir ihn dann evtl. von uns aus ansprechen und ihn fragen "Mensch, Herr Schulz, was ist denn los mit Ihnen? Bedrückt Sie vielleicht irgendwas? Kann ich Ihnen eventuell helfen?". Vielleicht würde Meister Schulz ja ein kleines Gespräch im Hausflur bereits ein bisschen gut tun. Oder allein die Tatsache, dass sich überhaupt jemand für ihn interessiert und sich nach ihm und seinem Befinden erkundigt. Oft sind es gerade solch kleine Dinge, die anderen Menschen helfen, die ihnen Mut machen, ihnen Hoffnung geben und sie zumindest ein wenig innerlich aufbauen könnten. Wir sollten das bei der nächsten Gelegenheit einfach mal in der Praxis ausprobieren.

Gut, bei stark depressiven Menschen, wie auch Silvia Seidel es anscheinend war, ist es natürlich äußerst schwer, überhaupt an sie heranzukommen. Das schaffen bei besonderen Härtefällen noch nicht mal die besten Psychologen. Trotzdem könnte es durchaus sein, dass man auch diesen Menschen durch das zeigen seines aufrichtigen Interesses an ihnen und ihrem Befinden, verbunden mit dem einen oder anderen netten Wort, wenigstens für diese kurzen Augenblicke einen kleinen Sonnenstrahl in ihre gequälten Seelen schickt. Vielleicht fühlen sie sich zumindest jetzt, und sei es nur für diesen kleinen Zeitraum, als Mensch sowohl erkannt als auch anerkannt sowie angenommen. Und möglicherweise tut ihnen genau das in diesen Momenten, wenn auch nur kurzzeitig, gut. Das ist aber nur meine persönliche Sicht als Nichtpsychologe und die Betonung dabei liegt ausschließlich auf könnte. 
Unser Leben ist nun mal, auch wenn es uns seit geraumer Zeit genau andersherum eingetrichtert wird, keine One-Man- oder One-Woman-Show. Jeder "Einzelmensch" braucht immer auch andere Menschen, da kann er sich selbst noch so sehr als Individualisten und Einzelkämpfer sehen und empfinden.

Mit den Freunden ist das zumeist auch so eine Sache. Die meisten hat man ja sowieso, wenn man innerhalb unserer Gesellschaft entweder weiter oben oder relativ sicher mittendrin steht. Geht es für uns aber aus Gründen wie Entlassung, chronischer Krankheit und ähnlichem ein Stück weit nach unten, dann schrumpft gleichzeitig auch die Zahl unserer Freunde nach und nach immer mehr zusammen. Eine Ausnahme bildet dabei jedoch die Beerdigung. Würde man bei seiner eigenen Beisetzung mal eben kurz aus seiner wohnlichen Holzkiste oder Keramik-/Kunststoffurne blicken können, dann würde man sich jedenfalls bestimmt wundern, wie viele Freunde man eigentlich dann doch so hatte. Nur hat man diese zu seinen Lebzeiten wohl irgendwie nicht so richtig bemerkt, vor allem wenn man vor seinem Ableben den Fahrstuhl nach unten nehmen musste.

Zum Abschluss nun noch eine Spruchweisheit meiner Großmutter selig: 
"Wenn es dir gut geht hier auf Erden, wollen alle deine Freunde werden. Doch bist du einmal in der Not, dann sind alle deine Freunde tot!"
Dieser Spruch passt haargenau auch noch in unsere Zeit und das nicht nur im traurigen Fall von Silvia Seidel...

Dienstag, 7. August 2012

Gefangen in der Freiheit

Was wurden und werden wir aus den verschiedensten Richtungen nicht immer und immer wieder mit dem Begriff "Freiheit" zugedröhnt. Wie herrlich es ist, in einem "freien Land" zu leben. Das es nichts wunderbareres gäbe als ein Leben in Freiheit. Das die "persönliche Freiheit" das höchste Gut des Menschen sei und was nicht noch so alles. Doch seien wir mal ehrlich - ist auch nur ein einziger Mensch unter uns mittlerweile fast 7 Milliarden wirklich richtig frei?

Freiheit bedeutet in meinen Augen - vereinfacht ausgedrückt - , dass ausnahmslos jeder Mensch all das tun und lassen kann, was er will. Das er keinerlei Druck bzw. Zwängen unterworfen ist und sein Leben nach seinem eigenen freien Ermessen gestalten kann und das hinter nichts, was er tut, ein "Muss" steht. Aber allein schon die Tatsache, dass wir um überhaupt leben zu können, essen und trinken müssen, setzt uns doch schon einem erheblichen Zwang aus. Die Nahrungsaufnahme ist halt bereits ein Muss für jeden einzelnen von uns. Um nun aber irgendwas ess- und trinkbares zu ergattern müssen wir nun mal etwas dafür tun, ob wir es wollen oder nicht. Mit dem schlafen verhält es sich ebenfalls nicht anders: Wir müssen zumindest das eine oder andere Stündchen schlummern, auch wenn wir es eigentlich gar nicht wollen, sonst haut es uns irgendwann aus den Latschen. Wir sind eben Naturgesetzen unterworfen, denen wir uns, um überhaupt am Leben bleiben zu können, unterwerfen müssen.

Gut, das mit dem essen, trinken und schlafen ist zugegebenermaßen etwas weit hergeholt. Es sollte nur verdeutlichen, dass jede(r) von uns schon von Beginn der persönlichen Ersterscheinung auf der irdischen Bildfläche an bestimmten natürlichen Zwängen unterliegt.
Doch wie sieht es außerhalb der für ausnahmslos alle gültigen Naturgesetze aus? Gibt es da vielleicht auch nur einen Menschen, der behaupten kann, er sei wirklich frei? Der in seinem Denken und Handeln nicht dem geringsten Zwang unterliegt? Der sein Leben ohne ein einziges "Muss" dahinter gestalten kann? Ich behaupte einfach mal "Nein, den gibt es nicht"!

Abhängig Beschäftigte z.B. sind ebenso wenig frei wie ihre Brötchengeber. Beide müssen etwas dafür tun, damit sie sich und ihre Familien ernähren können. Naja, und über die vermeintliche Freiheit der Arbeitsuchenden brauchen wir uns hier sowieso nicht weiter auszulassen - die gibt es inzwischen ja so gut wir gar nicht mehr für diese Bevölkerungsgruppe. Selbstständige, Freiberufler u.ä. sind ebensowenig unabhängig wie es ihren Namen nach scheint. Auch sie müssen sich bestimmten Zwängen wie z.B. trotz mieser Stimmungslage tapfer gespielte Freundlichkeit unterordnen, um überhaupt Kunden, Klienten etc. zu bekommen und zu halten, um ihr tägliches Dasein fristen zu können. Aber auch sog. Besserverdienende sind nicht wirklich freier als jeder andere von uns. Sie mögen sich vielleicht mehr und "Besseres" leisten können als die Mehrheit ihrer Mitmenschen, dafür steht hinter ihnen aber auch stets der Zwang, das bisher Erreichte zu bewahren und nach Möglichkeit noch mehr zu erreichen. Das "Abstiegsgespenst" sitzt ihnen dabei stets im Nacken. Also unterwerfen auch sie sich einem Gruppenzwang und strampeln sich in ihrem Hamsterrad weiterhin munter ab, auch wenn sie vielleicht insgeheim von einem Leben ohne Leistungsdruck träumen. Sie wollen nun mal zur "gesunden" gesellschaftlichen Mitte "dazugehören" - koste es was es wolle, und sei es ihre Gesundheit.
Mit den sog. Einkommens-/Vermögensmillionären und -milliardären oder auch "reichen Erben" verhält es sich im Grunde genommen auch nicht anders. Sie werden nicht selten von Verlustängsten vor sich her getrieben, die dann ebenfalls auf ihr Denken und Handeln den entsprechenden Druck ausüben und sie quasi dazu zwingen, ihr wie auch immer zustande gekommenes Vermögen zu erhalten oder ggf. noch weiter mehren zu müssen.

Bei höherrangigen Politikern ist es - neben den finanziellen Aspekten - nicht zuletzt die Angst vor dem Verlust von Macht und dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit, bei "Größen" aus Showgeschäft, Funk und Fernsehen die Angst vor dem Verlust ihres allgemeinen Bekanntheitsgrades, die auf diese Personen Druck und Zwang ausübt, bestimmte Dinge tun zu müssen. Der in diesen Kreisen kursierende Satz "Negative Schlagzeilen sind besser als gar keine" macht dies ja sehr gut deutlich. Diese ganzen Ängste schränken nun mal auch deren Freiheit beträchtlich ein, ob sie es nun selbst wahrhaben wollen oder nicht.

Egal, ob unten, in der Mitte oder ganz oben angesiedelt - kein einziger Mensch kann meiner Meinung nach von sich behaupten, er oder sie sei vollkommen frei in ausnahmslos allen Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen. Auch wenn sich der eine oder andere Mensch tatsächlich frei fühlen sollte ist er es dennoch noch lange nicht wirklich. Er vermeint es zwar zu sein, ist dabei jedoch höchstens ein Gefangener des ihm aufoktroyierten Freiheitsbegriffs. Letztlich ist jeder einzelne von uns irgendeinem Druck, Zwang sowie Ängsten unterworfen, die seine eigentliche Freiheit mehr oder weniger stark einschränken.

Gab es eigentlich jemals eine Phase in der Menschheitsgeschichte, wo Menschen zumindest ein wenig in der Nähe völliger Freiheit leben konnten? Ich denke mal ganz grob, diese Phase war jene, als unsere Altvorderen noch quasi in Höhlen oder im Schatten eines primitiven Windschutzes lebten. Sie waren zwar auch dem Zwang der Nahrungsbeschaffung sowie den tobenden Naturgewalten unterworfen, konnten aber dennoch "freier" leben. Gut, auch hier wird es mit Sicherheit in jeder Sippe einen oder eine gegeben haben, der oder die den symbolischen, jedoch noch nicht erfundenen Hut auf hatte, aber ansonsten dürfte man damals insgesamt wohl trotzdem noch recht frei gewesen sein. Es wurde bei Bedarf von den männlichen Sippenanghörigen gejagt und von den weiblichen gesammelt, bis genug für die Sippe beisammen war und wenn ausreichend Vorrat an Ess- und Anziehbarem beschafft war hatte man Freizeit und lebte so für sich in den Tag hinein. Der etwas neugierigere oder auch mutigere Urk erkundete evtl. zwischendurch die weitere Umgebung. Der stark introvertierte Kark hingegen machte sich seinen Kopf über das, ob und was vielleicht nach dem Ableben noch so kommen könnte und ob es "höhere Mächte" gibt, die für den Wind, den Blitz und den Donner verantwortlich zeichnen. Und der pfiffige Ompa probierte immer wieder mal gerne aus, was man aus Steinen, Knochen und Holz so alles an den Sippenalltag erleichternden Sachen basteln könne. Das alles jedoch auf freiwilliger Basis und wenn den Betreffenden gerade danach war. Ansonsten "gammelte" man so vor sich hin und pulte sich unter Umständen dabei gegenseitig die Läuse aus den langen verfilzten Kopfhaaren und Bärten.

Irgendwann jedoch kam ein paar Jahrtausende später irgendeiner auf die Idee, man könne ja mal versuchen, ob man nicht Pflanzen mit essbaren Früchten gezielt in der Nähe der eigenen Behausung züchten könne. Und vielleicht lässt sich ja auch das eine oder andere wilde Tier zähmen und somit als lebender Fleischvorrat nutzen. Und zack, schon hatte man Ackerbau und Viehzucht. Nun war es vorbei mit dem Müßiggang nach erfolgreichen Jagden und Sammelaktivitäten. Ab jetzt musste der Mensch seine bis dahin trotz allem doch einigermaßen große individuelle Freiheit aufgeben und sich der ganztägigen Bestellung seiner Felder und der Versorgung seiner tierischen Vorräte widmen. Irgendwas war und ist da nun mal immer zu tun und für "Freizeit" war so gut wie keine Zeit mehr übrig. Damit das alles auch richtig schön blüht, wächst und gedeiht musste Mensch somit seine urspüngliche Freiheit aufgeben. Und als irgendwann noch etwas später jemand die Zeit als solche einzuteilen begann und der Tagesablauf ausschließlich nach ihr ausgerichtet wurde war es dann ganz vorbei damit. Ach ja, und als dann auch noch die ersten Gedanken hinsichtlich der Schaffung einer allgemein gültigen Ersatzleistung für essbare als auch anderweitige Tauschobjekte aufkamen wurde es noch "unfreier" für die Menschheit.

Vielleicht ist ja die altbekannte Story von Adam und Eva eine Art Erinnerung an diese "paradiesischen" Zeiten vor der "Erfindung" der landwirtschaftlichen und somit auch der Arbeit generell.
Man könnte ja durchaus behaupten, dass dieses erste Menschenpaar der (biblischen) Geschichte die ersten "Gammler" gewesen sind, die sich im Garten Eden gemütlich eingerichtet hatten, ohne sonderliche Anstrengung von der Hand in den Mund leben konnten/durften und ansonsten im wahrsten Wortsinne den lieben Gott einen guten Mann sein ließen. Erst die dumme Geschichte mit der ollen Frucht vom Baum der Erkenntnis sorgte dann für allgemeine Verstimmung unter den drei Hauptakteuren. Vielleicht waren in dieser symbolischen Frucht ja landwirtschaftliche Erkenntnisse enthalten? Denn schließlich sagte Gott zu Adam beim Rausschmiss der beiden bisherigen Müßiggänger die entlarvenden Sätze "Wegen dir sei der Acker verflucht! Um dich von ihm zu ernähren musst du dich lebenslang mühen. Dornen und Disteln werden dort wachsen, doch du bist angewiesen auf die Frucht. Mit Schweiß wirst du dein Brot verdienen..." usw. (1.Mose, Kap. 3). Es könnte also sein, dass diese nette Geschichte eine Anspielung bzw. Urerinnerung auf den Verlust der ursprünglichen menschlichen Freiheit durch Einführung oder auch "Erfindung" der Arbeit als - im biblischen Sinne - Strafe darstellt. Aber wie gesagt: Könnte, nicht muss!

Möglicherweise können Menschen nur in kleineren Gruppierungen mit zumindest einigermaßen als "gleichrangig" betrachteten Mitgliedern annähernd frei leben. Je mehr Gruppenmitglieder, desto größer  die Gefahr der Einengung oder gar völlige Aufhebung der eigenen Freiheit durch die persönlichen Interessen der "stärkeren" Mitglieder, die sich ggf. zu einer eigenen Gruppe innerhalb dieser Gruppe zusammenschließen und die anderen samt deren ursprüngliche Freiheit unterdrücken und sich von diesen durch ihre Arbeitskraft "bedienen" lassen. Das dann aber auch aus einem inneren, mehr oder minder "unfreien" Zwang heraus wie Machtrausch, Bequemlichkeit oder ähnlichem. Irgendwie haben wir das ja eh genau so schon seit laaaanger Zeit.
Nun jedoch beende ich diesen Beitrag für jetzt - ich bin dann mal eben so frei...